Armand le Bourgeois, Chrétiens divorcés remariés

Paris: Desclée de Brouwer 1990. 192 S. Kart. F 90,-

Bourgeois war Bischof von Autun von 1966 bis 1987. Innerhalb dieser zwanzig Jahre hat er fast tausend Briefe von wiederverheirateten Geschiedenen erhalten. Alle diese Briefe laufen eigentlich auf eine Frage hinaus: Ist die Wiederverheiratung eines geschiedenen Christen ein Fehler, der nicht vergeben werden kann?

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Das Buch besteht aus drei Teilen: I. Die Briefe und Anfragen; II. Die Kirchen und die wiederverheirateten Geschiedenen; III. Pastorale Wege und Vorschläge. Der erste Abschnitt gibt auf fast 100 Seiten einen tiefen Einblick in die menschlichen und pastoralen Probleme wiederverheirateter Geschiedener und deren Angehöriger. Hier treten auch bei uns noch wenig diskutierte Fragen in den Vordergrund. So z. B. die Taufe wiederverheirateter Geschiedener oder von Katechumenen, die mit wiederverheirateten Geschiedenen verbunden sind. Führt die Taufe dann gewissermaßen in die Sünde? In allen diesen Fällen liegt die Verantwortung ganz beim Diözesanbischof. Darauf weist auch ein Fall hin, wo der Heilige Stuhl die Bittstellerin an den zuständigen Diözesanbischof verwiesen hat. In manchen FälIen hat die Korrespondenz dazu geführt, daß der oder die Betreffende die Zweitehe dann vor dem evangelischen oder orthodoxen Geistlichen abgeschlossen hat. Ein Brief zeigt, daß es sehr schwer ist, einem Laien verständlich zu machen, daß die Ehe ein Sakrament ist, der Zölibat aber nur eine rechtliche Verpflichtung. Wieso kann der vom Zölibat dispensierte Priester zur Eucharistie gehen, nicht aber der wiederverheiratete Geschiedene?

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Im 2. Abschnitt werden die Positionen der katholischen, der evangelischen und der orthodoxen Kirche breiter dargestellt, auf die Situation in der anglikanischen Kirche hingewiesen. Die anglikanische Kirche anerkennt jede Ehe als gültig, die vor der zivilen Autorität oder der Kirche abgeschlossen ist. Vor der zivilen Ehe können die Ehepartner eine religiöse Einsegnung verlangen. Diese Feier ist von förmlichem Charakter und enthält einen Austausch des Konsenses. Auch nach einer Scheidung kann die zweite Ehe durch die Kirche gesegnet werden, aber erst, nachdem sie zivil abgeschlossen wurde. Die religiöse Feier ist dann einfacher und ohne Austausch des Konsenses und kann mit einem Akt der Buße beginnen. Bis vor kurzem war es Aufgabe des Bischofs, diese Einsegnung zu veranlassen. Inzwischen ist diese Vorgehensweise von der Versammlung der Bischöfe Englands approbiert worden. - Die Partie über die orthodoxe Kirche stammt von Oliver Clement.

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Das Buch mündet in pastorale Vorschlage, die sowohl die Vorbereitung der Ehe als auch die Verhinderung von Scheidungen betreffen. Was hat aber zu geschehen, wenn die Ehe einmal geschieden ist und wieder geheiratet wurde? Hier wird zunächst auf die kirchenrechtlich bestehenden Möglichkeiten hingewiesen. Darüber hinaus wird die pastorale Begleitung der wiederverheirateten Geschiedenen in den Vordergrund gestellt. Damit bleibt das Hauptproblem, die Zulassung zur Eucharistie, zur Teilnahme am Abendmahl, aber noch offen. Zur hier üblichen kirchenamtlichen Praxis bemerkt der Autor folgendes: Die Schrifttexte, die die Unauflöslichkeit der Ehe betreffen, werden von Exegeten und Theologen unterschiedlich interpretiert. Er weist in diesem Zusammenhang auf einen Aufsatz von F. Durrwell in der "Revue de droit canonique" 1987 mit dem Titel "Indissoluble et destructibile mariage" hin. Es ist davon auszugehen, daß schon das erste Menschenpaar in einer unauflöslichen Ehe lebte, wie es auch Jesus selbst gesagt hat. Die Kirche muß daher guter Logik folgend alle Paare beachten, die sich getrennt haben, z. B. auch nach einer Zivilehe. Dies hat die französische Kirche zu lange übersehen. Vielleicht kann man feststellen, daß die pastorale Praxis der protestantischen Kirche in diesem Sinn ausgeübt wird.

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Man kann auch sagen, ohne hier in ein Paradoxon zu verfallen, daß die Unauflöslichkeit nicht mit dem Sakrament der Ehe verbunden ist. Das Sakrament bereichert die Ehe, es ändert nicht ihre Natur (Durrwell 21). So unauflöslich die Ehe auch ist, sie ist aber "zerstörbar". Es passiert, daß die eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich nicht mehr existiert. Die Schrift verbietet diese Sicht nicht. Wenn aber nun die eheliche Gemeinschaft nicht mehr besteht, so ist sie auch nicht unauflöslich. Jesus sagte nichts über die Wiederverheiratung, die nach dem Bruch einer Realität erfolgt ist. Folgendes Beispiel wird hier angeführt: In Polen haben sich seinerzeit zwei junge Leute verheiratet. Dann kam der Krieg, und der junge Ehemann kam nach Deutschland. Bei seiner Rückkehr stellt er fest, daß sein Dorf zerstört ist und seine Einwohner nicht mehr da sind. Nach dem Krieg geht er nun nach Frankreich und dann in die Vereinigten Staaten, wo er sich wieder kirchlich verheiratet und Kinder hat. Plötzlich stellt sich heraus, daß seine Frau ebenfalls noch lebt, verheiratet ist und Kinder hat. Kirchenrechtlich müßten nun eigentlich die beiden Zweitehen nichtig sein. Die betreffenden Eheleute müßten wie Bruder und Schwester zusammenleben bzw. müßten ihre alte Verbindung sogar wieder aufleben lassen. Dies ist sicherlich ein extremes Beispiel, aber es soll den Unterschied zwischen unauflöslicher und unzerstörbarer Ehe demonstrieren. In gewissen Fällen kann hier c. 1149 des CIC helfen (Auflösung der Erstehe, wenn extreme Schwierigkeiten bestehen, diese weiterzuführen). Dann kann auch eine neue Ehe eingegangen werden. Es wäre zu fragen, ob auch dann, wenn die Ehe aus weniger sichtbaren Gründen, als sie im c. 1149 genannt sind (Gefangenschaft oder Verfolgung, die ein eheliches Zusammenleben unmöglich machen), zerbrochen ist, die Kirche dieselbe Macht hat. Die Feststellung der Nichtexistenz der ehelichen Lebensgemeinschaft ist wohl auch der Hintergrund für die orthodoxe Praxis.

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Im folgenden stellt Bourgeois Kriterien auf, die eine Wiederzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie ermöglichen. Sie müssen gemeinsam vorliegen (hier verkürzt wiedergegeben; S. 179 f.): 1. längerer Bestand der Zweitehe; 2. christliches Leben der Ehepartner und eventuell Engagement im Leben der Kirche, aber auch im Leben der Stadt; 3. Sorge für die Kinder, deren christliche Erziehung; 4. Sorge und Gerechtigkeit gegenüber dem ersten Partner; 5. Reaktion der Ortsgemeinde, in der sie leben; 6. Entscheidung normalerweise des Diözesanbischofs, zusammen mit dem direkt betroffenen Priester und eventuell mit einem pastoralen Familienrat. Interessant ist auch der kanonistische Hinweis, den Bourgeois gibt: Die Entscheidung kann natürlich nur im Einzelfall ergehen, der Diözesanbischof kann ja nicht gesamtkirchliches Recht setzen. Sie erfolgt aber nicht contra legem, sondern praeter legem! Es geht um eine Entscheidung im Bereich des erleuchteten Gewissens (conscience éclairée) und des Evangeliums von der Barmherzigkeit. Diese Lösung entspricht in etwa auch der in der Diözese Rottenburg-Stuttgart geübten Praxis.

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Das Buch endet mit einem Vorschlag zur Feier der Zweitehe von Geschiedenen. Zuerst erfolgt - was im französischen Recht (wie bei uns) vorgeschrieben ist - die Zivilehe. Dann kann ein Gebet erfolgen. Gemeint ist wohl eine Art kurze kultische Handlung (prière). Die Anwesenheit eines Priesters ist erwünscht, sollte aber rein freundschaftlichen Charakter (caractère purement amical) haben. Die Reihenfolge Zivilehe - Gebet soll auch zum Ausdruck bringen, daß es sich bei der Zweitehe nicht um eine sakramentale Ehe handelt. Es ist wohl notwendig, daß sich die Kanonistik in Zukunft in verstärktem Maß dieser pastoralen Lösungen in Grauzonen des Rechts annimmt.

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Man würde sich wünschen, daß öfter solche mutigen Bücher - auch in deutscher Sprache - erscheinen würden. Das Buch ist allen in der Seelsorge Tätigen zu empfehlen, die häufig mit den hier behandelten Problemen der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Eucharistie befaßt sind.

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Richard Puza