Von Provida Mater (1936) bis Dignitas Connubii (2005)

Die Eheprozessordnungen der römisch-katholischen Kirche

Von Matthias Pulte

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Instruktion der Sakramentenkongregation Provida mater Ecclesia, EPO 1936
    1. 1. Gerichtsstand und Zuständigkeit
      1. Zuständiges Gericht
      2. Die personelle Besetzung der Spruchkörper
      3. Träger der Jurisdiktionsgewalt
    2. 2. Klagerecht
    3. 3. Parteibeistände
    4. 4. Urteile
    5. 5. Berufung
    6. 6. Fazit
  2. Prozessrechtliche Veränderungen durch das Motu Proprio Causas Matrimoniales (1971)
    1. 1. Zur Zusammensetzung des Ehe-Gerichts
    2. 2. Das Berufungsverfahren
    3. 3. Fazit
  3. Vorschläge aus Wissenschaft und Forschung zum Thema Verkürzung der Eheprozesse
    1. 1. Pieter Huizing
    2. 2. Richard Puza
    3. 3. Adam Zirkel
  4. Die Instruktion des päpstlichen Rates zur Interpretation der Gesetzestexte Dignitas Connubii - die neue EPO zum CIC/1983
    1. 1. Zur Entstehungsgeschichte von Dignitas Connubii
    2. 2. Eine erste Durchsicht zu Dignitas Connubii
      1. Rechtsverbindlichkeit der Instruktion
      2. Ämter und Funktionen bei Gericht
      3. Zur Beweisführung
      4. Der Instanzenzug
    3. 3. Fazit

 

Im kanonischen Recht der römisch-katholischen Kirche stellen die Eheprozessordnungen, die seit dem Pontifikat von Papst Pius XII. erlassen worden sind ein eigenes rechtliches Genre dar. Diese Ordnungen sind stets auf Anregungen aus der Weltkirche entstanden, jenes Rechtsgebiet einheitlich zu ordnen, dessen Normen innerhalb des kanonischen Prozessrechts des CIC/1917 weitgehend verstreut zu finden sind. Diesem Anliegen folgend, legt die Sakramentenkongregation 1936 die Instruktion Provida mater Ecclesiae vor.1 Sie gilt unverändert bis zum Ende des Vaticanum II und modifiziert bis zum 1. Advent 1983. Die konziliaren Diskussionsbeiträge zum kanonischen Recht und die Konzilsbeschlüsse erfordern eine Anpassung des Prozessrechts, die Papst Paul VI. 1971 mit dem Motu Proprio Causas Matrimoniales vornimmt.2 In der Phase der CIC-Reform hat man zum Teil eine tief greifende Reform des kanonischen Prozessrechts erwartet, die den Eheprozess, als das Standardverfahren des ordentlichen Streitverfahrens, einheitlich regeln würde. Das ist aus rechtssystematischer Überlegung nicht geschehen. Im CIC/1983 findet sich also die gleiche Situation der Normverteilung für die Eheprozesse, wie schon im alten Gesetzbuch. So konnte es nicht ausbleiben, dass diese Gesetzeslage wiederum in der Weltkirche kritisiert worden ist. Papst Johannes Paul II. hat in seiner Rota-Ansprache von 1996 signalisiert, dass er die ihm vorgetragenen Bedenken ernst nimmt und die Erarbeitung einer neuen EPO in Aussicht gestellt. Das Ergebnis liegt seit dem 8.2.2005 in der Instruktion Dignitas connubii vor.3 Diese liegt nun unter der Herausgeberschaft des päpstlichen Rates zur Interpretation der Gesetze veröffentlicht vor.

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I. Die Instruktion der Sakramentenkongregation Provida mater Ecclesia, EPO 1936

 

Die EPO von 1936 ist in der Literatur durchaus nicht unumstritten gewesen. So beklagt bereits 1939 Klaus Mörsdorf in einem einschlägigen Artikel, dass die damals neue EPO in mancherlei Hinsicht unsystematisch sei. Gleichwohl ist die EPO bis zum CIC/1983 für die Ehegerichte der Maßstab ihres prozessualen Handelns geworden. Die Instruktion der Sakramentenkongregation enthält für die Ehenichtigkeitsprozesse Änderungen gegenüber dem Gesetzbuch von 1917, welche die Durchführung der oftmals langwierigen Verfahren nach Ansicht der Kongregation straffen und verkürzen sollten. Es ist aber hier nicht der Ort, umfangreich auf die altrechtliche Gesetzgebung von 1936 einzugehen. Mit Blick auf Dignitas connubii lohnt sich jedoch ein Rückblick auf einige zentrale Vorschriften dieser altkodikarischen Instruktion. Und das gilt vor allem, weil sich in den letzten Jahren bei mancher päpstlichen Verlautbarung und/oder Gesetzgebung die Tendenz abzeichnete, durch traditionelle bzw. restaurative Elemente fortschrittlichere partikularrechtliche Entwicklungen zurückzuweisen.

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Zu Beginn eine kurze Anmerkung zum Rechtscharakter von Provida mater Ecclesiae. Es handelt sich bei diesem Dokument um eine Instruktion. Der CIC/1917 kannte diese Rechtsform kurialer Erlasse im Sinne des c. 34 CIC/1983 nicht. Der Begriff kam dort uneinheitlich in verschiedenen Zusammenhängen vor, u. a. iSv Gesetz.4 Trotz dieser Uneinheitlichkeit ist eine Definition des Rechtscharakters nach den Maßstäben des alten Rechts möglich, weil Papst Benedikt XV. im Promulgations- Motu Proprio Cum Iuris Canonici zum CIC/1917 verfügt, dass Instruktionen die von Gesetzen zu unterscheidenden Erlasse der römischen Kongregationen sind.5 Ihr Zweck besteht darin, die Vorschriften des CIC zu erhellen, zu erklären und zu vervollständigen. Der Rechtscharakter einer Instruktion richtet sich also je nach ihrem Inhalt. Eine umfassende Definition ist somit nur eingeschränkt und ganz weit und allgemein möglich. Es kann sich sowohl um eine Ausführungsbestimmung zu einem bestehenden Gesetz, also eine Verordnung der Exekutive, als auch um ein Gesetz selbst handeln, wenn hier eine rechtliche Materie neu oder anders als durch das bisherige Gesetz geordnet wird. Instruktionen können aber auch eine rechtlich gemischte Materie enthalten. Dieser wenig fassbaren Rechtslage begegnet der Gesetzgeber von 1983 mit der Formulierung von c. 34 CIC/1983. Der Zweck dieser Norm besteht darin, mehr Rechtsklarheit zu schaffen und Instruktionen von Gesetzen abzugrenzen und ihnen einen ausschließlich die bestehenden Gesetze erklärenden oder sie ausführenden Charakter zu verleihen.6 Diese Rechtsauffassung erklärt sich aus c. 34 § 1 Satz 2, der als berechtigte Autorität zum Erlassen von Instruktionen ganz allgemein die Inhaber ausführender Gewalt benennt. Das sind z. B. die römischen Dikasterien. Dem gegenüber ist die Voraussetzung, Gesetze zu erlassen, an gesetzgeberische Vollmachten gebunden. Inwieweit diese römischen Dikasterien übertragen ist, muss im Einzelfall gesondert geprüft werden. Ob diese kodikarische Vorgabe nach 1983 von allen Instruktionen stets beachtet worden ist, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Man sollte den Text von c. 34 CIC/1983 jedoch im Hinblick auf eine als Instruktion zu erwartende EPO zum CIC/1983 im Hinterkopf behalten.

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1. Gerichtsstand und Zuständigkeit

 
a. Zuständiges Gericht
 

C. 1964 CIC/1917 bestimmt für ordentliche Eheverfahren, dass der zuständige Richter entweder derjenige sei, innerhalb dessen Sprengel die Ehe geschlossen worden ist, oder derjenige, in dessen Sprengel die nichtklagende Partei ihren Wohnsitz hat. Eine dritte Zuständigkeit ergibt sich im Falle von Mischehen am Wohnsitz oder Quasi-Wohnsitz des katholischen Partners.7

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Diese restriktiven Festlegungen des Gesetzgebers sind von Anfang an in der Literatur kritisiert worden. Die EPO wiederholt dessen ungeachtet in Art. 6 und 7 die Bestimmungen des eben genannten Kanon. In der zeitgenössischen, kommentierenden Literatur wird zudem die Systematik der Art 6 und 7 deutlich kritisiert.8 Die EPO erschöpft sich aber nicht einfach in der Wiederholung der Normen des CIC und einer Aneinanderreihung von Ausführungsbestimmungen. Es findet sich hier auch abweichend von der Definition Benedikts XV. neues Recht.

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So handelt Art. 6 § 1 EPO über das Klagerecht der Frau. Aus heutiger Sicht mutet die Regelung seltsam an, denn in diesem Artikel wird als Gerichtsstand entweder der Eheschließungsort oder der Ort des Wohnsitzes bzw. des Nebenwohnsitzes des Ehemannes als gerichtliche Zuständigkeit festgelegt. Diese Bestimmung geht davon aus, dass der Wohnsitz der Frau erst dann eine eigene gerichtliche Zuständigkeit begründen könnte, wenn diese rechtmäßig von ihrem Mann getrennt ist. Diesen Rechtszustand beschreibt Art. 6 § 2 EPO. Die zivilrechtliche Scheidung wird dabei nicht als rechtmäßige Trennung der Gatten anzusehen sein. Der Gesetzgeber zeigt sich an dieser Stelle zwar systemtreu, insofern die Norm den Prinzipien des altkodikarischen Rechts entspricht, letztlich aber schon damals wirklichkeitsfremd.

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Art. 7 EPO korrigiert eine Entscheidung der Apostolischen Signatur vom 7.11.1932 zur Frage des gesetzlichen Wohnsitzes. Danach sollte mit Wohnsitz nur der gesetzliche bezeichnet werden. In der EPO hält der Gesetzgeber nunmehr daran fest, dass unter dem Begriff domicilium sowohl der gesetzliche Wohnsitz als auch der tatsächliche Wohnsitz verstanden werden. Diese Festlegung ist vor dem Hintergrund der Zuständigkeit eines Gerichts bedeutsam. Die Instruktion schafft an dieser Stelle kein neues Recht. Hier wird deutlich, dass lediglich vorgängige, sich nicht bewährt habende Ausführungsbestimmungen zurückgezogen werden. Die Norm zeigt, dass der Verfasser in der Lage ist, auf die Erfordernisse der Rechtswirklichkeit zu reagieren.

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Die EPO von 1936 bringt aber insgesamt hinsichtlich des Gerichtsstandes keine Änderung beziehungsweise Erleichterung gegenüber dem bisher geltenden Recht. Das betrifft sowohl die örtliche Zuständigkeit als auch die Frage, welche Art von Gericht in Ehesachen tätig werden kann. Danach hat der Kläger die freie Wahl, ob er die Klage beim Gericht des Eheschließungsortes oder beim Gericht des Wohnsitzes einzureichen wünscht. Gemäß Art. 226 EPO gilt, dass in ordentlichen Ehesachen auch weiterhin nur der prozessuale Rechtsweg eröffnet ist. Der verwaltungsgerichtliche Rechtsweg ist nur in den in c. 1990 enumerativ aufgeführten Ausnahmefällen eröffnet. Während sich die Autoren bei der Kommentierung von c. 1990 ff. nicht einig gewesen sind, ob die dort beschriebenen Ausnahmeverfahren dem Gerichts- oder dem Verwaltungsrechtsweg zuzuordnen sind, klärt nunmehr Art. 227 § 1 EPO, dass hier der Verwaltungsrechtsweg gemeint ist, da in diesem Fall der Ordinarius als iudex agens auftritt und einen summarischen Prozess führt.9 Genauerhin handelt es sich um den prozessualen Verwaltungsrechtsweg, da der eröffnete Rechtsweg der via ordinaria von Art. 227 § 2 als ein Handeln der Exekutive gegenübergestellt wird.

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b. Die personelle Besetzung der Spruchkörper
 

Die EPO stellt in Art. 13 § 1 wie c. 1576 § 1 CIC/1917 einseitig auf die Schaffung kollegialer Spruchkörper ab. Jede entgegenstehende vorkodikarische Praxis wird widerrufen. Das trifft vor allen Dingen jene Gebiete der Kirche besonders hart, in denen es bisher nur eine außerordentliche Hierarchie gibt. Durch die Festlegung des CIC/1917 und der EPO auf das Erfordernis von kollegialen Spruchkörpern ist durch diese Gesetzgebung für bestimmte Teile der Weltkirche in Ehesachen die Gewährung des richterlichen Gehörs insgesamt in Frage gestellt. Für bestimmte Missionen weicht der Gesetzgeber erst elf Jahre nach Promulgation des CIC von dieser restriktiven Praxis mit einer Instruktion der Propagandakongregation für die Missionen in China ab. Mit dieser Instruktion wird den dortigen Ordinarien gestattet, in der 1. Instanz die Ehesachen vor einem Einzelrichter zu verhandeln.10

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Parallel zu dieser missionsrechtlichen Variante errichtet die Kurie für Gebiete mit ordentlicher Hierarchie einen alternativen Weg. Im Jahr 1938 schafft Papst Pius XII. mit dem MP Qua Cura die Möglichkeit, dass in Italien Regionalgerichte entstehen. Das Motu Proprio richtet sich vor allem an die vielen dortigen Zwergbistümer, die sich außerstande sehen, eine kuriale Verwaltung in vollem Umfang, geschweige denn eine eigene Judikative aufzubauen.11 In den Jahren 1941 und 1943 erfolgten weitere, unter sachlich vergleichbaren, territorial aber gänzlich anderen Voraussetzungen, Sondernormen für die Diözesen auf den Philippinen und in Kanada. Sie befassten sich mit der Möglichkeit, Regionalgerichte einzurichten, wo es den einzelnen Teilkirchen und kirchlichen Verwaltungseinheiten nicht möglich gewesen ist, eine eigene Judikative zu schaffen.12 Diese Bestimmung ist deshalb beachtenswert, weil erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vergleichbare Normen für andere Teilkirchen erlassen werden. Sie geschehen aufgrund von Eingaben gegenüber der römischen Kurie, dass die Gewährung von rechtlichem Gehör nach Maßgabe der bestehenden Bestimmungen nicht in allen Teilen dieser Jurisdiktionsbereiche gewährt werden konnte.13

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c. Träger der Jurisdiktionsgewalt
 

Die EPO und der alte CIC stimmen darin überein, dass der Träger der ordentlichen Gerichtsgewalt der Bischof ist. Während sich aber der CIC in dieser Hinsicht nicht immer eindeutig ausgedrückt hat, indem dort häufiger statt der Bezeichnung Bischof jene des Ordinarius verwendet wird, präzisiert die EPO in den Art. 15, 16, 19 § 1 , 21, 48 § 4 dahingehend, dass hier ausdrücklich der Bischof als Träger der Jurisdiktionsgewalt genannt wird. Damit wird klargestellt, dass unter dem Begriff Ordinarius im Zusammenhang mit gerichtlichen Amtshandlungen weder der Generalvikar noch der höhere Klosterobere zu verstehen sind.14

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2. Klagerecht

 

Gegenüber dem CIC/1917 hat die EPO das Klagrecht in Eheprozessen eindeutiger geregelt. Die Art. 35 bis 39 befassen sich mit diesem Gebiet. Danach gilt als Faustregel: Das Klagerecht kommt einem katholischen Ehegatten zu, der das Scheitern der Ehe nicht verschuldet hat.15 Die EPO hält zunächst an dem Prinzip fest, dass nur Katholiken ein Nichtigkeitsverfahren einleiten können. Allerdings zeigt Art. 35 § 3 einen Weg auf, der es auch Nichtkatholiken ermöglicht, einen kirchlichen Eheprozess einzuleiten. Dieser Weg führt über die Selbstanzeige beim Kirchenanwalt. Dieser Rechtsweg ist aber auch nicht in jedem Falle eröffnet, sondern daran gebunden, dass nach dem Urteil des Bischofs in jedem Einzelfall das öffentliche Wohl berührt ist. Im Unterschied zum CIC ist in diesen Fällen die gesonderte Einholung einer besonderen Erlaubnis beim Heiligen Offizium nicht erforderlich. Partikularrechtlich ist die Erweiterung des Klagerechts bereits im Jahr 1931 dem Bistum Berlin in einer Einzelentscheidung des Heiligen Offiziums zugestanden worden.16

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Das selbstständige Anklagerecht des Kirchenanwalts beschränkt sich schon nach c. 1971 § 1 n. 2 CIC/1917 auf Ehehindernisse, die von ihrer Natur her öffentlich bekannt sind. Daran ändert die EPO nichts. Ansonsten ist der Kirchenanwalt gem. Art. 35 § 1 n. 2 grundsätzlich vom Willen der Ehegatten abhängig, die Klage einzureichen. Die Anzeige der Nichtigkeit beim Bischof oder beim Kirchenanwalt zeigt an, dass einer der Gatten nicht bereit ist, die Ehe konvalidieren zu lassen.

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Art. 39 EPO befasst sich mit dem Fall, dass beide Parteien das Scheitern der Ehe verschuldet haben. In diesem Fall haben nach dem Gesetz zunächst beide Parteien auf Grund des Verschuldens kein eigenständiges Klagerecht. Sie müssen sich dafür an den Kirchenanwalt wenden. Damit dieser Klage erheben kann, müssen die Voraussetzungen von Art. 39 a-c erfüllt sein. Hier fällt dem Kirchenanwalt die interessante Aufgabe zu, die Parteien zunächst dazu zu bewegen, ihre Ehe wieder in Ordnung zu bringen. Erst wenn das nicht gelingt, soll er sich dem Klagebegehren der Parteien zuwenden, da durch die Verweigerung der Ordnung der Ehe das öffentliche Interesse an der Sache begründet wird.17 Auch aus dieser Norm wird die damalige auf den innerkirchlichen Bereich beschränkte Wahrnehmung trotz der Außenwirkung der Gesetzgebung sichtbar. Das hat nicht zur Beschleunigung der kirchlichen Eheprozesse beigetragen. Art. 38 EPO kennt zwei Ausnahmen von der soeben genannten Regel. 1.) einseitige oder beiderseitige Totalsimulation, Verweigerung des Rechts auf den ehelichen Verkehr, unter Ausschluss einer wesentlichen Eigenschaft der Ehe und 2.) den Fall der vereinbarten Bedingungen gegen das Wesen der Ehe. Der Kirchenanwalt hat hier nur dann ein eigenständiges Klagerecht, wenn es vorher einen Versuch der Ehegatten gegeben hat, die Ehe zu konvalidieren. Die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe müssen nach Art. 38 § 2 zudem öffentlich bekannt sein. Dadurch muss außerdem ein öffentliches Ärgernis tatsächlich verursacht worden sein. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, liegt es im Ermessen des Ordinarius festzustellen, ob eine Klageerhebung zum Schutze des öffentlichen Wohls der Kirche tatsächlich nötig ist.

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Im Hinblick auf die Klageerhebung unterscheidet die EPO die jeweiligen Rechte von Kirchenanwalt und Bischof nicht ganz klar und eindeutig. Nach den Artikeln 35 § 2 und 37 § 4 EPO können die Nichtigkeitsanzeigen sowohl beim Bischof als auch beim Kirchenanwalt eingereicht werden. Der Bischof entscheidet dann gemäß Art. 41 § 1, ob eine hinreichende Grundlage im Sinne eines Anfangsverdachts zur Eröffnung eines Verfahrens besteht. Art. 40 stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Klageerhebung nicht durch den Bischof, sondern durch den Kirchenanwalt erfolgt, auch wenn dem Bischof die Anzeige erstattet worden ist. Ohne dass die EPO das ausdrücklich systematisiert, muss der Bischof also, wenn er direkt angegangen wird, den Kirchenanwalt beauftragen, Klage zu erheben. Eine Theorie, die dem Kirchenanwalt deshalb die Pflicht zuweist, Klage zu erheben, damit ein mit dem Klageantrag verbundenes Odium von dem Bischof ferngehalten werde, überzeugt nicht.18 Vielmehr geht es um die Trennung der Sachbereiche. Der Bischof ist Iudex in seinem Sprengel. Das Amt des Richters ist inkompatibel mit dem des Kirchenanwalts (Anklägers).

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3. Parteibeistände

 

Bei Durchsicht der EPO fällt auf, dass Art. 48 die Bestimmungen über die Zulassung der Parteibeistände wesentlich verschärft. Es ist tatsächlich nicht einzusehen, warum die akademische Qualifikation des Anwalts höher sein muss als die des Richters. Für den Richter reicht der wirkliche Besitz juristischer Kenntnisse und Erfahrungen gemäß Art. 21 aus. Ein Doktorat oder Lizentiat wird hier nicht unabdingbar gefordert. Parteibeistände sollen das aber haben. Diese Bestimmung ist in der Literatur kritisiert worden. Die in Deutschland abweichende Rechtspraxis, auch für Anwälte keine anderen Qualifikation zu fordern als für Richter, wird weiterhin als gesetzeskonform angesehen, da die EPO den CIC nach Cum iuris Canonici nicht außer Kraft setzt.19

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4. Urteile

 

Art. 200 § 2 EPO enthält eine Neuerung, die aus heutiger Sicht nur schwer verständlich erscheint. Dort wird verlangt, dass das Urteil stets in der lateinischen Sprache abzufassen ist. Damit wird es für die Adressaten unverständlich. Schließlich richtet sich das Urteil vor allem auch in seiner Begründung an die Parteien. Man mag die Verpflichtung auf die lateinische Sprache allenfalls noch für den inneren Gerichtsbetrieb verstehen, wie es Art. 105 anordnet. Die Fälle der Berufung an die römische Rota sind jedoch in ihrer Zahl schon immer so gering gewesen, dass dann im Einzelfall die Akten übersetzt werden konnten. Dies nun generell zu fordern, ist eine Absurdität der EPO. Von daher ist jener Meinung in der Literatur zuzustimmen, die es weiterhin für rechtmäßig erachtet, die Urteile in der Landessprache abzufassen. Das Einführungsdekret der EPO enthält keine Derogationsklausel. Gemäß c. 30 CIC/1917 ist der herrschende Brauch damit rechtlich nicht zu beanstanden.

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5. Berufung

 

Der alte CIC weist dem Ehebandverteidiger im Prozess eine relativ starke Position zu. Er ist 1.) zur Vornahme jeder Prozesshandlung zu hören. Er hat 2.) die für die Beweisführung leitenden Frage zu stellen. Er hat 3.) die Berufungspflicht, solange nicht zwei übereinstimmende Urteile vorliegen. Wie schon c. 1986 CIC/1917 verpflichtet auch Art. 212 § 3 EPO den Ehebandverteidiger bei der nächst höheren Instanz selbstständig Berufung gegen ein affirmatives erstinstanzliches Urteil einzulegen. Die ratio legis wird in der zeitgenössischen Literatur immer noch darin gesehen, dass in der Regel beide Parteien ein Interesse an der Nichtigkeit der Ehe haben. Dem kanonistischen Erfordernis der duplex sententia conformis könne also nur Rechnung getragen werden, wenn der Ehebandverteidiger als am Prozess beteiligte Person dazu verpflichtet wird, auch dann Berufung einzulegen, wenn er von der Beweiskraft des erstinstanzlichen Urteils überzeugt ist.20 Lediglich eine duplex sententia conformis begründe den zulässigen Verzicht des Ehebandverteidigers auf eine Berufung. Der Gesetzgeber stärkt im CIC/1917 und in der EPO die Stellung des Ehebandverteidigers mit dem Ziel, der Rechtsgunst für die Gültigkeitsvermutung der Ehe eine prozessual herausragende Stellung zu verleihen. Es geht dabei also nicht um ein etwaiges Misstrauen, welches der kirchliche Gesetzgeber gegenüber seinen eigenen Richtern hegt.21 Die Gegenansicht argumentiert damit, dass die Pflichtberufung vielmehr dem Vorrang des öffentlichen Interesses vor dem Privatinteresse bzw. dem Ausgleich beider Interessenlagen diene.22

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6. Fazit

 

Gegenüber dem bisher geltenden Recht hat die Eheprozessordnung von 1936 kaum wirkliche Vorteile zur Straffung der Prozessläufe gebracht. Wichtig sind die Erweiterungen der Klagerechte von Personen, die nach dem Gesetzbuch bisher keine Möglichkeit gehabt haben ein kirchliches Verfahren zu führen, obschon sie mittelbar ein Interesse daran haben könnten. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion um eine neue EPO zum geltenden CIC/1883 sind weniger die altrechtlichen Bestimmungen des 20. Jahrhunderts von Interesse, als die Ausnahmen, die von diesen Normen in bestimmten Gebieten der Weltkirche Gesetz geworden sind. Unter diesen erscheinen mir vor allen Dingen die chinesischen Sondernormen aus dem Jahr 1924 von Interesse zu sein, die es wieder gestattet haben, Eheverfahren in der ersten Instanz vor einem Einzelrichter durchzuführen.23

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Hinsichtlich der Rolle des Ehebandverteidigers bleibt es aber auch dort bei der vom CIC bereits vorgesehenen starken Stellung in Bezug auf die Gestaltung des Prozesses, vor allem hinsichtlich seiner Rolle für die Fortführung des Prozesses in der 2. Instanz.

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Die Vorteile dieser Instruktion bestehen m. E. einfach darin, dass auf beschränktem Raum alle wichtigen Normen für die Prozesse zusammengefasst sind, die ansonsten über das Prozessrecht verstreut im CIC aufzuspüren sind. Vor diesem Hintergrund stellt die EPO eine anwenderfreundliche Zusammenfassung des seinerzeit geltenden universalen lateinischen Rechts dar. Die aufgezeigten Unterschiede zum CIC sind, abgesehen von der Erweiterung des Klagerechts und der Zuständigkeiten der Diözesangerichte, von geringerer Bedeutung. Diese Einschätzung mag vielleicht auch erklären, weshalb die Lehrbücher und Kommentare zum Eheprozessrecht sich auch nach Inkraftsetzung der EPO vorrangig mit den kodikarischen Normen beschäftigen und die EPO nur dort angeben, wo ihre Bestimmungen vom CIC abweichen.24

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II. Prozessrechtliche Veränderungen durch das Motu Proprio Causas Matrimoniales (1971)

 

Das Motu Proprio Causas matrimoniales, vom 28. März 1971 ist von Papst Paul VI. erlassen worden, um eine schnellere Durchführung der Eheprozesse zu erreichen. Damit kommt der Papst einem Anliegen nach, welches schon während der Vorbereitung des Konzils und auch im Verlaufe des Konzils aus allen Teilen der Weltkirche immer wieder zur Sprache gebracht worden ist. Das hier kurz vorzustellende Gesetzeswerk, das weithin Eingang in die gegenwärtige Gesetzgebung des CIC/1983 gefunden hat, unterzieht dass Eheprozessrecht nicht schon einer vollständigen der Revision. Diese ist der CIC-Reform vorbehalten geblieben. Es beschränkt sich auf die Ordnung der ordentlichen Eheverfahren im Geiste des Konzils.

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1. Zur Zusammensetzung des Ehe-Gerichts

 

Während in c. 1576 § 1, 1 ein Kollegium nur aus drei Richtern gebildet werden konnte, die Priester sind, sieht Art. 5 § 1 MP CausMatr vor, dass ein Richterkollegium im Regelfall aus drei Klerikern zu bilden ist. Damit nimmt diese neue Gesetzgebung die Veränderungen im Weiherecht auf, die sich seit 1968 ergeben haben. Mit der Errichtung des Diakonats als beständiger Weihestufe wird auch diesen Geistlichen die Möglichkeit verliehen, in einem kirchlichen Gericht als erkennende Richter mitzuwirken. Eine Ansicht in der Literatur, dass bei einem solchen Kollegium der Vorsitz auch weiterhin bei einem Priester liegt, vermag nichts überzeugen. Diese Ansicht hat zwar für sich, dass das Gesetz auch bisher vorsah, dass der Offizial oder die Vizeoffiziale als Vorsitzende amtieren. Um eine zwingende Vorschrift handelt es sich dabei aber nicht. Es ist genau so gut denkbar, dass ein anderer Geistlicher den Vorsitz eines Kollegiums übernimmt. Art. 5 § 1 MP CausMatr lässt sogar zu, dass z.B. ein Richterkollegium aus drei Diakonen oder zwei Diakonen und einem Priester als drittem Richter gebildet wird.

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Gemäß Art. 5 § 1 MP CausMatr kann die Bischofskonferenz gestatten, dass in Gebieten, wo die Bildung eines Kollegiums von drei Geistlichen nicht möglich ist, ein solches aus zwei Geistlichen und einen Laien gebildet werden kann. Die Norm ist neu. Es ist nicht klar ersichtlich, auf wessen Initiative sie in das MP CausMatr hineingelangt ist. Vorkodikarische Parallelbestimmungen finden sich in den Überlegungen der Kanonisten Anaklet Reifenstuehl und Franz Xaver Schmalzgrueber.25

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Eine Rückkehr zu einer in Teilen der Weltkirche vor dem Jahr 1917 herrschenden Rechtspraxis via Indult stellt Art. 5 § 2 MP CausMatr dar. Wo die Bildung von Kollegialgerichten überhaupt nicht möglich ist, gestattet der Gesetzgeber Art. 5 § 2 MP CausMatr, dass ein Einzelrichter (Priester oder Diakon) eine Eheprozess erster Instanz führt. Auch hier ist wieder die Genehmigung der Bischofskonferenz erforderlich. Der Einzelrichter soll aber auch nicht ganz allein im Prozess agieren. Er soll, wo dies möglich ist, einen Beisitzer und einen Vernehmungsrichter hinzuziehen. So kann auf diesem Wege gleichsam ein quasikollegium gebildet werden.

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Aus der Formulierung von Art. 5 § 2 MP CausMatr ist abzuleiten, dass der Vorsitz in einem kirchlichen Gericht seitens des Gesetzgebers stets einem Geistlichen zugesprochen wird. Laien als Vorsitzende Richter sind danach nicht vorgesehen. Diese Feststellung hat Bedeutung, weil seit In-Kraft-Treten des CIC/1983 zu c. 1421 immer wieder die Fragestellung aufgetaucht ist, ob nicht auch Laien den Vorsitz in kirchlichen Gericht übernehmen können. Der Gesetzestext selbst scheint dies zuzulassen.26 Ob dies der Rechtstradition entspricht, wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Die eine Ansicht stützt sich zur Begründung auf die altrechtliche Tradition, die unter Berufung auf Schmalzgrueber und Reifenstuel feststellt, dass es Sache des Gesetzgebers sei, die Kriterien für die Berufung ins Richteramt festzulegen. Daher könne man auch Laien berufen. Der Wortlaut von c. 1421 schließe das nicht aus. Die Gegenansicht argumentiert mit der kodikarischen Rechtstradition, nach welcher durchgängig nur Klerikern mit dem Vorsitz in einem kirchlichen Gericht betraut worden sind. Vor diesem Hintergrund sei auch die Norm von c. 1421 CIC/1983 zu interpretieren.27 Der Streit wird m.E. letztlich durch eine Einzelfallentscheidung der Ap. Signatur vom 30.10.1997 entschieden, welche es in scharfer Form als rechtsmissbräuchlich beschreibt, Laien zu Vorsitzenden zu bestellen.28 Die Formulierung dieser Einzelfallentscheidung legt nahe, ihr allgemeine Bedeutung beizumessen, da in Fällen, in denen der Ap. Signatur gleich gelagerte Fälle bekannt werden, keine andere Entscheidung zu erwarten ist.29

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2. Das Berufungsverfahren

 

Die entscheidende Neuerung über das Berufungsverfahren findet sich in Art. 8 § 3 MP CausMatr. Hier wird erstmals das Dekretverfahren in der zweiten Instanz als Regel für die Pflichtberufung eingeführt. Es ist also nicht mehr erforderlich, die Ehenichtigkeit durch zwei übereinstimmende Urteile rechtskräftig zu machen. Der kirchenrechtlichen Grundformel von der duplex sententia conformis wird nach Ansicht des Gesetzgebers auch damit Genüge getan, dass in der zweiten Instanz das vorinstanzliche Urteil formalrechtlich und materiellrechtlich auf seine Bestandskraft hin untersucht wird. Im Übrigen bleibt es bei der Bestimmung des Gesetzgebers, die den Ehebandverteidiger zur Berufung an die höhere Instanz verpflichtet.

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3. Fazit

 

Insgesamt begnügt sich das MP CausMatr. damit, einige Normen zur Straffung des Verfahrens vorzulegen. Materiellrechtliche Erwägungen finden sich in dieser päpstlichen Gesetzgebung nicht. Die bedeutendste Veränderung besteht in der Zusammensetzung der Spruchkörper von Diözesangerichten der ersten Instanz. An die Richter werden keine höheren Qualifikationsanforderungen gestellt, als sie schon vorher gegolten haben. Weil nun die Rechtsprechung auf eine breitere personelle Basis gestellt werden kann, hat dies eine Beschleunigung der Eheprozesse zur Folge.

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Der CIC/1983 hat die Regelung von Art. 5 § 2 MP CausMatr. erstaunlicher Weise nicht übernommen. Die bis 1983 in Geltung stehenden Sondernormen für die USA und andere Teile der Weltkirche sind trotz verschiedentlicher Bitten aus diesen Gebieten, es bei den über 10 Jahre bewährten Regelungen zu belassen, nicht verlängert worden. Seither gilt: alle Eheprozesse sind von Kollegialgerichten abzuwickeln. Es mag sein, dass der Gesetzgeber der Auffassung ist, die Regelung von c. 1421 genüge, um die Rechtsprechung auf eine breite Basis zu stellen.

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Die Verkürzung des Berufungsverfahrens ist die zweite ganz entscheidende Verbesserung gegenüber dem bisherigen Recht. Auch sie trägt zur Verkürzung der gesamten Prozessdauer bei, wenn ein affirmatives Dekret das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Wenn dem nicht so ist, ist zeitlich nichts gewonnen. In der Mehrzahl der Fälle hat diese Regelung jedoch zu einer Beschleunigung der Prozesse beigetragen. Das lässt sich auch statistisch nachweisen.

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III. Vorschläge aus Wissenschaft und Forschung zum Thema Verkürzung der Eheprozesse

 

Im Wesentlichen liegen drei Konzepte vor, die an dieser Stelle anzuführen sind. Es handelt sich um die von Pieter Huizing, Richard Puza und jüngst von Adam Zirkel.

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1. Pieter Huizing

 

Das älteste Konzept geht auf den Vorschlag von Pieter Huizing zurück, der die förmlichen Gerichtsverfahren insgesamt abschaffen und durch eine Art Schlichtung ersetzen möchte.30 Dieser Vorschlag ist hinlänglich bekannt und diskutiert, so dass sich eine erneute Darstellung an dieser Stelle erübrigt.

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2. Richard Puza

 

Das zweite Konzept hat der Tübinger Ordinarius für Kirchenrecht, Richard Puza, vor nicht allzu langer Zeit in Nomok@non veröffentlicht.31 Nach seiner Ansicht ließen sich die Verfahren über Simulationstatbestände merklich wie folgt verkürzen: Puza möchte zwischen zwei verschiedenen Stufen des Ehenichtigkeitsverfahrens unterscheiden. In jedem Fall soll zunächst ein einfaches Ehenichtigkeitsverfahren durchgeführt werden, in dem es im Wesentlichen um die Sicht der Ehe der betreffenden Partner geht, kirchenrechtlich gesprochen also um die Fälle der Simulation. Dieses Verfahren kann heute auch mit anderen Akzenten als früher gemäß c. 1536 § 2 und 1679 durchgeführt werden: Es genügt z. B. ein Zeuge. Glaubwürdigkeitszeugen können herangezogen werden. Dem Geständnis des Simulierenden kommt so ein höherer Wert zu. Nur wenn auf diese Weise kein Ergebnis erzielt werden kann, soll auf die übrigen Nichtigkeitsgründe zurückgegriffen werden dürfen, die unter Umständen auch die Beiziehung eines Psychiaters oder eines psychologischen Gutachtens erfordern. Dieses zweite Verfahren wird dann als subsidiäres Ehenichtigkeitsverfahren bezeichnet.32

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3. Adam Zirkel

 

Der Würzburger Kanonist schließt an die Praxis in den USA und anderen Ländern an, die sich nach dem 2. Vatikanum partikularrechtlich hat ausprägen können.33 Dort ist es nämlich möglich gewesen, in Ehesachen erster Instanz einen Einzelrichter mit der Sache zu befassen, der ggf. durch einen Auditor unterstützt worden ist. Für diesen Fall war die Pflichtberufung obligatorisch vor einem Kollegialgericht. Die American Procedural Norms (APN) enthalten einige Abweichungen vom MP CausMatr., die hier erwähnenswert sind: 1. die Möglichkeit Laien als kirchliche Richter zu berufen, 2. die Ehesachen (in der 1. Instanz?) von einem Einzelrichter behandeln zu lassen. Norm 3 APN macht keine Angaben darüber, ob Einzelrichter in Ehesachen nur in der ersten oder ggf. auch in weiteren Instanzen berufen werden können. 3. Norm 23 II APN bestimmt, dass in Ausnahmefällen, wo es nach dem Urteil des Bandverteidigers und seines Ordinarius überflüssig erscheint, gegen ein affirmatives Urteil zu appellieren, der Ordinarius bei der Bischofskonferenz um die Genehmigung nachsuchen kann, den Defensor von seiner gesetzlichen Pflicht zur Berufung zu dispensieren. In diesem Fall soll das erstinstanzliche Urteil zu Rechtskraft erstarken.

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Zirkel schlägt nun vor,34 die Ehesachen unabhängig vom Caput durch einen Einzelrichter und einen beigegebenen Assessor abwickeln zu lassen. Der Ehebandverteidiger sei bei Bewertung der Klageschrift zu beteiligen. Er spielt im weiteren Verfahrensverlauf dann aber keine Rolle mehr. Es bleibt bei der obligatorischen zweiten Instanz, die im Unterschied zu den APN aber nicht vor einem Kollegialgericht, sondern zunächst im Regelfall auch vor einem Einzelrichter verhandelt wird. Kommt er im Dekretwege zu einer Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils, ist der Verfahrensgang abgeschlossen. Dekretiert er negativ, hat sich ein kollegialer Spruchkörper weiter mit der Sache zu befassen.35

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Die vorgestellten Alternativmodelle zum geltenden kanonischen Eheprozessrecht haben nicht einmal in Teilen Eingang in die die Instruktion Dignitas connubii gefunden. Sie bleiben gleichwohl wichtige akademische Desiderate für die zukünftige Rechtsentwicklung.

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IV. Die Instruktion des päpstlichen Rates zur Interpretation der Gesetzestexte Dignitas Connubii - die neue EPO zum CIC/1983

 

1. Zur Entstehungsgeschichte von Dignitas Connubii

 

Nachdem Papst Johannes Paul II. Anfang 1996 die Erarbeitung einer neuen EPO angekündigt hatte, befasste sich eine interdikasterielle Kommission von 1996 bis 1999 mit der Erstellung eines ersten Schemas.36 Dieses wurde in der Folgezeit ausgewählten Adressaten in der Weltkirche sub secreto zur Diskussion gestellt. Über diesen ersten, im Titel mit einem reservatum gekennzeichneten Entwurf, welcher die Grundlage einer zukünftigen Instruktion bilden könnte, unterrichtet P. Stephan Haering OSB im Jahr 2001 die kanonistisch interessierte Öffentlichkeit.37 Danach ergibt sich folgendes Bild: Die geplante Instruktion enthält in 15 Titeln 308 Artikel, die das bisher geltende Eheprozessrecht an einem Ort zusammenfassen.38 Entscheidende Vereinfachungen hinsichtlich des Verfahrensgangs oder in Bezug auf die Beweisanforderungen, wie sie die obigen Propositionen enthalten, sind aus diesem Entwurf nicht zu erkennen. Eine einzelne Besprechung der Normen ist nicht erforderlich. Sie erfolgt im Zusammenhang mit Dignitas connubii.

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Dem Vernehmen nach sollen in den römischen Dikasterien noch zwei weitere Entwürfe im Umlauf gewesen sein, deren Inhalt allerdings nicht so detailliert bekannt geworden ist. Von einem dieser beiden Entwürfe, der Kreisen in der Ap. Signatur zugeschrieben worden ist, kann jedoch berichtet werden, dass er im Unterschied zu dem eben skizzierten, einen ganz anderen Ansatz verfolgt, der mehr in die Richtung einer Vereinfachung der Prozessläufe und damit auch einer Verkürzung der Prozesse zielt.39 Das zeigt sich schon am Umfang. Er ist auf 38 Kanones beschränkt gewesen. Dort sollen Elemente der amerikanischen Sondernormen (American procedural norms) aus den 1970er Jahren aufgenommen gewesen sein, wie z.B. der Verzicht auf eine Pflichtberufung und die Möglichkeit Eheprozesse vor einem Einzelrichter zu führen. Dieser Entwurf ist offensichtlich durch die Wünsche mancher Ortsordinarien der Weltkirche geprägt, für welche die Rechtsschutzgewährung unter den kodikarischen Regeln bisher schon ein beachtliches personelles Problem darstellt. Der andere Entwurf, über den noch viel weniger bekannt geworden ist und der der Autorenschaft des Präsidenten des PCI, Kardinal Julián Herraz Casado, zugeschrieben wird, stellt wohl eine Fortschreibung des ersten Entwurfs unter Einbeziehung der Stellungnahmen der Bischofskonferenzen dar, die in dieser Sache konsultiert worden sind. Die Kombination des ersten und dritten Entwurfs liegt nun im Ergebnis als die Instruktion Dignitas Connubii vor. Bei der öffentlichen Vorstellung der Instruktion beschreibt Kardinal Herraz Casado die Funktion dieser Publikation. Sie solle eine Art "Vademecum" für den Rechtsanwender abgeben. Ihr Ziel besteht darin, die Konformität der kirchlichen Rechtsprechung in den diözesanen und interdiözesanen Gerichten mit jener der Rota Romana zu verbessern. Daher sei auf eine Rechtsprechung nach der "retta dottrina" der Kirche zu achten.40 Dignitas connubii verfolge weiters den Zweck, die postkodikarischen Weiterentwicklungen des Rechts zum verbindlichen Maßstab der kirchlichen Rechtsprechung zu machen, um auf diesem Weg Recht und Gerechtigkeit in der ganzen (lateinischen) Kirche zu fördern. Daher haben die Rechtsprechung der Rota Romana und der Apostolischen Signatur und die authentischen Interpretationen der PCI ihren Niederschlag in den Normen der Instruktion gefunden.41

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2. Eine erste Durchsicht zu Dignitas Connubii

 

Am 8. Februar 2005, ist die Instruktion Dignitas connubii der Presse vorgestellt worden.42 Bisher liegt eine in lateinischer, italienischer und englischer Sprache gedruckte Textversion vor.43 C. 34 CIC/1983 sieht die förmliche Promulgation einer Instruktion mangels direkter Außenwirkung nicht vor.44 Die Übergabe der Instruktion an die zuständigen kirchlichen Stellen, also die Ortsordinarien als örtliche Träger der Rechtsprechungsgewalt, reicht aus.

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a. Rechtsverbindlichkeit der Instruktion
 

Auf der formalen Ebene fällt bereits auf, dass die Instruktion nicht mehr, wie noch Provida mater Ecclesiae von einer Kongregation der römischen Kurie, sondern von dem für die Gesetzesinterpretation zuständigen päpstlichen Rat (PCI) herausgegeben wird. Damit deutet sich an, welche rechtliche Verbindlichkeit die Instruktion beansprucht. Handelt es sich dabei gem. Art 154 PastBon, aufgrund der Funktion des Rates (Art. 155 PastBon), um eine authentische Interpretation des geltenden Eheprozessrechts insgesamt? Das könnte zu bejahen sein, wenn die Instruktion selbst kein neues Rechts schafft, sondern nur das bestehende interpretiert. Die Instruktion geht aber zumindest in einigen Normen, wie z.B. die Qualifikation des vorsitzenden Richters (Art. 46 § 2 DO) und die Anforderungen an den Sachverständigen (Art. 205 § 2 DO) über prozessrechtlich den CIC/1983 hinaus. Materiellerechtlich erscheint Art. 4 § 2 n. 2 DO bemerkenswert. Dort wird der Richter zur Heranziehung des jeweils geltenden weltlichen Rechts im Falle der Nichtigerklärung von Ehen Ungetaufter verpflichtet.45

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Es ist daher zu klären, ob diese Erweiterungen eine Interpretation der bestehendem Normen oder eine Neuregelung darstellen. Um eine Neuregelung würde es sich handeln, wenn durch Dignitas connubii eine Rechtslage erstmals oder neu geordnet werden würde. Handelt es sich lediglich um Präzisierungen und Auslegungsanweisungen bestehender Normen, wird man von einer amtlichen Interpretation durch die Instruktion iSv c. 34 § 1 CIC auszugehen haben. In Bezug auf die angesprochenen prozessrechtlichen Gegenstände erscheint eine Zuordnung der Instruktion leicht möglich. Die Normen schaffen keine wirkliche neue Rechtslage. Sie greifen nur unter Bezug auf die Quellen bisherige amtliche Interpretationen des geltenden Rechts auf. Bei Art. 4 § 2 n. 2 DO könnte hingegen neues Recht gesetzt worden sein. Da es hier aber gem. c. 7 CIC am Erfordernis der Promulgation fehlt, mangelt es am entscheidenden Kriterium zur Feststellung eines geltenden Gesetzes. Insofern bildet auch Art. 4 § 2 DO nur eine freilich bindende Interpretationshilfe für den erkennenden Richter. In Summa: Dignitas connubii schafft kein neues Recht. Das PCI selbst weist in der Praefatio auf die interpretative Natur der Instruktion hin.46 Vielmehr wird das bestehende Recht nach Art eines allgemeinen Ausführungsdekrets (c. 31 § 1) auf die prozessuale Wirklichkeit in den Gerichten angepasst. Die Adressaten der Instruktion sind die kirchlichen Gerichtsherren. Auch darin zeigt sich die gesetzesausführende und gesetzeserklärende Funktion der Instruktion.47 Der Schlußsatz der Praefatio legt den kirchlichen Gerichten die Beachtung der Instruktion als Rechtspflicht auf.

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Die Instruktion enthält, wie schon das Primum schema, 308 Artikel in 15 Titeln. Bereits der Titel der Instruktion weist darauf hin, welchen tieferen Zweck diese Instruktion verfolgt. Es geht letztlich um den Schutz der Würde der Ehe. In Fortsetzung der päpstlichen Mahnungen in der Rota-Ansprache von 2005, es in den kirchlichen Gerichtsverfahren durch Überdehnung des Rechts nicht zu Fehlurteilen kommen zu lassen, legt die Instruktion einen Tenor auf die Verbesserung der Beweissicherheit in den Eheverfahren.48 Wer sich eine weit reichende Veränderung oder Vereinfachung des Eheprozessrechts der katholischen Kirche erwartet hat, wird wohl enttäuscht sein. Die neuen Normen nehmen direkt Bezug auf die kodikarische Gesetzgebung, indem die einschlägigen Bestimmungen des CIC/1983 an den jeweiligen Stellen zitiert werden. Häufig handelt es sich aber auch um die wörtliche Übernahme der bestehenden Gesetzestexte. Drei thematische Schwerpunkte der Instruktion lassen sich ausmachen.

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b. Ämter und Funktionen bei Gericht
 

Dignitas connubii bleibt bei der kodikarischen Festlegung, Eheprozesse von einem Kollegialgericht von mindestens drei Richtern entscheiden zu lassen. Der Offizial und die Vizeoffiziale müssen auch weiterhin gem. Art. 42 § 1 DC Priester sein. Für die Ämter des Offizials und seiner Stellvertreter verlangt Art. 42 § 2 DC Gerichtserfahrung. Laienrichter können wie schon nach c. 1421 § 2 ernannt werden. Die Klausel in Art. 43 § 2 DC : "suadete necessitate, unus assumi potest ad collegium efformandum" wiederholt nur c. 1421 § 2. Eine Präzisierung im Vergleich zur bisherigen Gesetzgebung findet sich in Art 43 § 4 DC, wo ausdrücklich auf die Inkompatibilität des Richteramtes mit zeitgleich ausgeübten anderen Diensten innerhalb desselben Gerichts bestimmt wird. Diese Norm ist jedoch nicht präzise formuliert. Die Inkompatibilität dürfte sich nicht nur auf das eine Gericht, sondern müsste sich m.E. auf den gesamten Instanzenzug innerhalb einer Metropolie beziehen. Verschiedentlich ist vor allem aus der Gerichtspraxis mit Blick auf die cc. 1421 § 3 und 1426 § 2 die Frage gestellt worden, ob Laien wenigstens ad causam zu vorsitzenden Richtern bestellt werden können. Die kodikarische Rechtslage wurde diesbezüglich als unsicher charakterisiert. Auch in der Literatur wird daher bisweilen die Ansicht vertreten, dass Laien dieses Amt ausüben können.49 Die Apost. Signatur hat hingegen in einer Einzelentscheidung hervorgehoben, dass eine solche Rechtspraxis unzulässig sei.50 Da es sich aber um eine Einzelentscheidung gehandelt hat, bei der es in der Hauptsache noch um ein anderes dubium iuris gegangen ist, haben manche Kanonisten diese Entscheidung nicht als verallgemeinerbar und verbindlich angesehen. Art. 46 § 1 DC schafft in dieser Frage nun eine Klärung. Unter Berufung auf c. 1426 § 2 stellt die Norm fest, dass der Vorsitzende eines Richterkollegiums immer ein Kleriker sein muss. Zugleich legt die Norm die Aufgaben des Vorsitzenden fest. Diese unterscheiden sich in einigen Punkten, vor allem jenen mit prozessualer Außenwirkung, von jenen eines möglichen zu bestellenden Ponens/Relators, der auch Laie sein kann. Die in Dignitas connubii vorgenommene Auslegung der bestehenden Gesetze folgt einer gewissen Logik, wenn die cc. 1421, 1425 § 4 und 1426 zusammen gelesen werden. Für diese Lösung spricht zudem die konziliare una-sacra-potestas Lehre, die auf diesen Fall angewandt, die Ausübung der Rechtsprechungsgewalt an die Weihegewalt bindet. Laien als Richter wirken nach dieser Lehre an der Ausübung der Rechtsprechungsgewalt (im Innenverhältnis, freilich mit Wirkung für das Außenverhältnis) nur mit. Sie üben diese Gewalt nicht aus. In einer Zeit zunehmender Geschichtsvergessenheit darf auch auf das argumentum historicum zurückgegriffen werden. Die Klärung der PCI in Art 46 § 1 DC entspricht der kontinuierlichen kirchlichen Rechtstradition.

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Die Position der Ehebandverteidiger wird durch dignitas connubii gestärkt. Grundsätzlich klärt Art. 56 § 1 DO dass seine Teilnahme am Prozess unverzichtbar ist. Insbesondere in den Fällen psychisch bedingter Eheunfähigkeit aufgrund von c. 1095 nn. 2 und 3 wird den Defensoren in Art. 56 § 4 DO das Recht und die Pflicht zugesprochen, Fragen an die Gutachter zu richten und eine besondere Pflicht zur Prüfung des vorgelegten Beweismaterials aufgegeben. Sie haben auch zu prüfen, ob die Sachverständigen auf der Basis der christlichen Anthropologie ihr Gutachten erstellt haben. Den Ehebandverteidigern wird in Art. 56 § 5 DC zugleich eingeschärft, kein Votum contra vinculum zu verfassen. Es bleibt dabei, dass die Defensoren der Berufungsinstanz auch im Dekretverfahren gem. Art. 56 § 6 DC eigene Bemerkungen nach can. 1682 vorzulegen haben. Ein Verzicht darauf ist nicht vorgesehen. Art. 279 § 2 und 56 § 4 DC sprechen den Bandverteidigern nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zu, gegen Urteile der eigenen Instanz Berufung einzulegen, wenn diese nach ihrem Urteil nicht hinlänglich substantiert sind. Das müssen die Defensoren in ihrer Berufungsbegründung freilich argumentativ nachweisen. Mit dieser Regelung kehrt die PCI zur traditionell stärkeren prozessrechtlichen Stellung des Defensors zurück, wie sie seit der Einführung dieses Amtes bis zum CIC/1983 bewahrt, seither aber mancherorts systematisch seiner den favor matrimonii schützenden Funktion entkleidet worden ist.

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c. Zur Beweisführung
 

Von herausragender Bedeutung in den kirchlichen Eheverfahren bleibt die Beweissicherheit bzw. Beweisbarkeit des Klagevortrags. Die Artt. 155-216 DC über die Beweise und die Beweismittel liefern nach Ansicht der römischen Kurie ein Instrumentarium zur objektiven Wahrheitsermittlung. Diese ist erforderlich, damit die Anforderung der cc. 1060, 1608 § 1 CIC erfüllt werden kann. Grundlegend stellt sich Art. 169 DC mit seinen Anforderungen an die Interrogatorien dar. Die Norm bedeutet zweierlei: Interrogatorien sind unabdingbar. Das freie Gespräch des Vernehmungsrichters ersetzt nicht den inhaltlich in Art. 169 umschriebenen Fragenkatalog. Die Fragen sollen, wie schon c. 1564 betont, kurz, klar und vor allem nicht suggestiv gestellt werden. Die Artt. 177-182 DC befassen sich mit den Anforderungen an die Parteiaussagen. Die Beweiskraft von Dokumenten erklären die Art. 183-192 DC. Von Interesse ist bei diesen Artikeln, dass privaten Briefen, Tagebuchaufzeichnungen etc. die gleiche Beweiskraft zugemessen wird, wie einem außergerichtlichen Geständnis. Über die Zeugenaussagen handeln die Artt. 193-202 DC.

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Mit dem immer häufiger in Ehefällen über die psychische Eheunfähigkeit auftretendem Problem der Gutachten und der Sachverständigen befassen sich die Artt. 203-213 DC. Art. 203 klärt noch einmal grundsätzlich, dass die Hinzuziehung eines Gutachters in den Fällen psychisch bedingter Eheunfähigkeit immer erforderlich ist, außer seine Hilfe stelle sich als nutzlos dar! Dieser Artikel spiegelt die beständige Rechtsauffassung der römischen Rota und mancher Berufungsgerichte wider. Bezogen auf die Fälle der psychisch bedingten Eheunfähigkeit finden in diesem Abschnitt vor allem die Stellungnahmen Papst Johannes Pauls II. aus den Rota-Ansprachen von 1987 und 1988 ihren Niederschlag. Dabei legt die PCI einen deutlichen Akzent auf gründliche Gutachten. Die Kriterien, bzw. die zustellenden Fragen liefert in einem Raster Art. 209 DC. Das Gutachten kann sowohl auf die Aktenlage als auch auf die persönliche Exploration der betreffenden Person(-en) gründen. Die PCI legt sich darin nicht fest. Artt. 205 § 2 und 209 DC stellen im Unterschied zu den cc. 1574-1581 CIC nun auch die formalen und materiellen Anforderungen an das Gutachten genauer heraus, wie sie bereits seit den Rotaansprachen des hl. Vaters von 1987 und 1988 bekannt sind. Das Gutachten muss auf der Grundlage der christlichen Anthropologie erstellt werden. Das erscheint sinnvoll, da die in den Wissenschaften allein schon wegen des jeweiligen fachlichen Ansatzes unterschiedlichen Menschenbilder mit jenem inkompatibel sein können, das Grundlage der richterlichen Entscheidung sein muss. Hier eine Kongruenz zu fordern, erscheint sachgerecht, obschon es nicht einfach sein wird, ausreichend Gutachter zu finden, die sich an die kirchlichen Maximen in ihrer Disziplin gebunden fühlen. Die Fragen für die Gutachter stellen nach Art. 204 § 1 iVm Art. 56 § 4 DC der Ehebandverteidiger. Der Richter hält in seinem Dekret zur Beauftragung des Gutachters die zu untersuchenden Capita fest. Die Instruktion stärkt an dieser Stelle eindeutig die Rolle des Defensores. Schließlich soll der Richter dem Gutachter gem. Art. 207 § 3 DC eine Frist zur Bearbeitung setzen, damit es nicht zur Prozessverschleppung kommt. Vor dem Hintergrund der Gerichtpraxis erscheint diese Einschärfung von c. 1577 § 3 sehr sinnvoll. Art. 209 gibt ein allgemeines Raster bzw. eine Zielrichtung der dem Gutachter zu stellenden Fragen vor.51 Das hat der Defensor auf den konkreten Fall anzuwenden.

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Die drei Artt. 214-216 DC geben Maßstäbe für den Umgang mit richterlichen Präsumtionen. Hier geht es weniger um die praesumptiones iuris, als um die praesumptiones facti (c. 1586). Auch dieses Feld ist wichtig, da die Beweislage in manchen Fällen ex natura rei ausgesprochen problematisch erscheint. Auf der Ebene der Beweiswürdigung anerkennt die Instruktion in Art. 216 § 2 DC nur solche richterlichen Präsumtionen, die mit den Regeln der Rota Romana übereinstimmen. Andere werden ausdrücklich verboten. Um welche Regeln es sich handelt, verschweigt die Norm. Fundstellen zur Präzisierung fehlen auch. Damit könnte fraglich sein, ob die traditionellen Regulae Iuris in Sexto auch weiterhin als vertretbare Beispiele für Rechtsvermutungen in Ehesachen taugen.52 Außerdem bleibt unklar, ob bei Zuwiderhandlung das Urteil an einer Nichtigkeit leidet oder welche Rechtsfolge das Verbot überhaupt nach sich zieht. Die in den cc. 1620 und 1622 enthaltenen Nichtigkeitsgründe decken dieses Vetitum jedenfalls nicht. So bleibt Art. 216 § 2 DC ein zahnloser Tiger.

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Aufgrund der Schwierigkeit der Beweisführung bei so höchstpersönlichen Dingen wie einer Ehewillenserklärung kommt in der Praxis den Parteiaussagen, insbesondere den gerichtlichen Geständnissen (cc. 1536 § 2 iVm 1679), eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Art. 179 § 2 DC anerkennt die Beweiskraft von Parteigeständnissen, insbesondere wenn sie gerichtlich erfolgen. Freilich müssen diese Aussagen auch weiterhin, wie Art. 180 ausweist, im Zusammenhang mit dem übrigen Beweismaterial bewertet werden. Es bleibt also dabei, dass Parteigeständnisse allein zum vollen Beweis eines Tatbestandes nicht ausreichen. Art. 180 § 1 DC klärt aber, dass unter Umständen gerichtliche Geständnisse, die von (fundierten) Glaubwürdigkeitszeugnissen flankiert werden, die kanonisch geforderte Beweissicherheit ausreichend sicherstellen. Weitere Umstände und Indizien des konkreten Falles verbessern das Beweisergebnis nach Art. 180 § 2 DC. Die Normen stellen klar, dass es in den kirchlichen Eheprozessen in besonderer Weise auf eine gründliche und möglichst umfassende Beweisaufnahme ankommt. Das gilt umso mehr, je schwieriger der direkte Tatsachenbeweis zu führen ist. Hier stellen sich an die Untersuchungsrichter und Ehebandverteidiger, die für die Beweisaufnahme mit ihren Fragen weit reichende Verantwortung tragen, besondere Sorgfaltsanforderungen, siehe oben zu Art. 169 DC. Dignitas connubii macht insofern mittelbar deutlich, dass in den Eheverfahren weder standardisierte Interrogatorien, ohne echten Bezug zum konkreten Lebenssachverhalt, noch scheinbar "lockere Gesprächsmitschnitte" taugliche Instrumente der Beweisaufnahme sein können. Vielmehr geht es um eine am jeweiligen Verfahrensstand eng orientierte individuelle Befragung von Parteien, Zeugen und Sachverständigen.

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d. Der Instanzenzug
 

In der Erwartung der nun vorliegenden Instruktion ist viel über den Instanzenzug spekuliert worden. Wird die römische Kurie vor allem dem aus den jungen Kirchen und den amerikanischen Diözesen vorgetragenen Wunsch auf Verzicht nach der Pflichtberufung Rechnung tragen und die Sondernormen für einige Teilkirchen aus den 1970er Jahren wieder in Kraft setzen? Unter besonderer Bezugnahme auf die aequitas canonica (c. 221 § 2) bleibt Dignitas connubii zur Enttäuschung einiger Kanonisten und zur Erleichterung der anderen in den Artt. 263-289 DC sowohl bei der kollegialen Besetzung der Spruchkörper als auch beim zweifachen Instanzenzug und in den Artt. 290-294 DC beim Grundsatz der duplex sententia conformis. Dabei reicht nach Art. 291 § 2 DC in der 2. Instanz eine Urteilsbestätigung durch äquivalente Konformität aus, wenn es lediglich hinsichtlich der rechtlichen Bewertung des Sachverhaltes zwischen den Instanzen unterschiedliche Wertungen gibt. Das ist z.B. der Fall, wenn die 1. Instanz bei einer Partialsimulation gem. c. 1101 § 2 auf Ausschluss der Unauflöslichkeit, die 2. Instanz aber auf Ausschluss der ehelichen Treue erkennt. Art. 291 § 2 DC klärt durch seine Formulierung nicht eindeutig, ob eine äquivalente Konformität bereits durch ein Dekret iSv c. 1682 § 2 erklärt werden kann oder ob es dafür eines Urteils bedarf. Wenn das Ziel einer äquivalenten Konformität darin besteht, einen Prozess zu verkürzen und eben nicht in eine neue Beweisaufnahme einzusteigen, erscheint es der Sache nach widersinnig, zuerst ein negatives Dekret zu fertigen, einen förmlichen Prozess zu eröffnen, dessen Beweisaufnahme sogleich wieder abzuschließen, um dann zum Urteil zu schreiten. Der Begriff decisio (Entscheidung) in Art. 291 § 2 DC meint m.E. nicht nur die Entscheidung durch Urteil. In der kodikarischen Tradition sind unter den Begriff decisio sowohl Gerichtsurteile als auch Verwaltungsentscheidungen zu fassen.53 Dekrete im Ehenichtigkeitsprozess werden davon begrifflich miterfasst. Es liegt daher nahe, in einem solchen Fall eine äquivalente Urteilsbestätigung durch Dekret ausreichen zu lassen.

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3. Fazit

 

Dignitas connubii revolutioniert das kanonische Prozessrecht erwartungsgemäß nicht durch substantielle Veränderungen. Die Rechtslage aufgrund des CIC/1983 bleibt unverändert, wird aber um die Rechtsfortschreibungen und amtlichen Interpretationen des Lehramtes der letzten zwanzig Jahre erweitert. Mir erscheint dieser Weg, den die PCI hier beschritten hat, maßvoll und angemessen, ohne zukünftigen Rechtsentwicklungen den Raum zu nehmen. Der praktische Nutzen dieser Instruktion besteht vor allen Dingen darin, dass mit diesem Dokument die bestehende Rechtslage an einer zentralen Stelle zusammengeführt wird. Hinzu kommt, dass die Rechtsunsicherheit in einzelnen Fragen durch mehr Rechtsklarheit abgelöst wird. Die skizzierten rechtlichen Festlegungen dienen einer ausgewogenen und am Kriterium der moralischen Gewissheit orientierten und einer, in machen Punkten, effizienteren Rechtsprechung. Die von c. 1608 § 1 für das Urteil und gem. c. 1617 auch für das zweitinstanzliche Dekret eingeforderte moralische Gewissheit wird nur erreicht, wenn das aufgekommene Beweismaterial geeignet ist, jeden vernünftigen Rechts- und Tatsachenzweifel auszuschließen. Eine bloß überwiegende Wahrscheinlichkeit des Zutreffens einer Klagebehauptung reicht nicht für ein affirmatives Urteil. Gem. Art. 265 § 4 DC muss auch ein bestätigendes Dekret wenigstens summarisch jene Begründung enthalten, die das Tribunal zur Erlangung der moralischen Gewissheit geführt hat. Die mit Dignitas connubii vorgelegte EPO wird die kirchlichen Eheprozesse vielleicht nicht verkürzen. Die Instruktion trägt mit ihren Klärungen aber dazu bei, dass rechtliche Differenzen, vor allem wenn sie manchmal überwiegend akademischer Natur sind, zwischen den Instanzen nicht mehr so häufig zu Lasten der Parteien dieser Personenstandsverfahren ausgetragen werden (müssen).

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1 Provida mater Ecclesiae, Instruktion der Sakramentenkongregation über die Behandlung der Ehenichtigkeitssachen an den Diözesangerichten vom 15.8.1936, in: AAS 28 (1936), S. 313-370; AfkKR 117 (1937), S. 147-197.

2 Paul VI., Motu Proprio Causas Matrimoniales vom 28.3.1971, in: AAS 63 (1971), S. 441-446.

3 Dignitas Connubii, Instructio servanda a Tribunalibus diocesanis et interdiocesanis in pertractandis causis nullitatis matrimonii, Auctori: Pontificium Consilium de Legum Textibus, Libreria Editrice Vaticana, 10.2.2005.

4 Vgl. Alexander Hollerbach, Stichwort: Instruktion in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 2, 2000, S. 307-308.

5 Vgl. AAS 9 (1917), S. 484.

6 Vgl. Hubert Socha, in: Klaus Lüdicke et al. (Hg.), Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Essen, Loseblatt, Stand: 38. Erg.Lfg. Juli 2004, (nachfolgend: MKCIC) c. 34 Rdn. 1. mit weiteren Nachweisen zur CIC-Reform.

7 Vgl. Arthur Vermeersch, Joseph Creusen, Epitome Iuris Canonici cum commentariis ad scholas et ad usum privatum, 4 Bde. Brügge, Brüssel 5. Aufl. 1933, Bd. III/1, Nr. 279.

8 Vgl. Klaus Mörsdorf, Zur Eheprozeßordnung für die Diözesangerichte, ThQ 120 (1939), 206-219, 210

9 In diese Richtung geht die Beschreibung bei Carl Holböck, Handbuch des Kirchenrechts, Bd. 2, Innsbruck, Wien 1952, Bd.2, S. 1014 f.

10 Vgl. SCPF Instruktion pro causis matrimonialibus , ex indulto, in Sinis servanda, die 18 Februarii A.D. 1929, in: G. Payen, De Matrimonio in Missionibus ac potissimum in Sinis tractatus practicus et casus, II, Zi-Ka-Wie 1929, S. 987-1009.

11 Vgl. Pius XII., MP Qua Cura vom 8.12.1938, in: AAS 30 (1938), S. 411. Gerichtsordnung für die kirchlichen Ehegerichte Italiens. Danach werden 18 Regionalgerichte erster und neun Regionalgerichte zweiter Instanz geschaffen. Vgl. Cesare Zaggia, I Tribunali interdiocesani o regionali nella vita della Chiesa, in: Zenon Grocholewski, Carcel Orti, Hg., Dilexit Iustitiam, FS Aurelius Card. Sabattani, Vatikan 1984, S. 121-153, bes. 121-132.

12 Vgl. für die Philippinen AAS (33) 1941, S. 363-368; für Kanada AAS (38) 1946, S. 281-287.

13 Vgl. Hans-Jürgen Guth, Ehescheidung oder Ehenichtigkeit? Das Eheprozeßrecht der römisch-katholischen Kirche in den USA seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg/Br. 1993

14 Vgl. Klaus Mörsdorf, Zur Eheprozeßordnung für die Diözesangerichte, a.a.O., S. 217.

15 Zur Verschuldensfrage vgl. Heribert Jone, Gesetzbuch des kanonischen Rechtes Bd. 3, Paderborn 1940, S. 269, mit weiteren Abgrenzungen von Kurie und Rechtsprechung dazu.

16 Vgl. SC Off. Responsum vom 30.11.1931, in: AfkKR 112 (1932) S. 154.

17 Vgl. Heribert Jone, Gesetzbuch des kanonischen Rechtes, a.a.O., Bd. 3, S. 270.

18 Vgl. Klaus Mörsdorf, Zur Eheprozeßordnung für die Diözesangerichte, a.a.O. , S. 352

19 Vgl. Pio Ciprotti, De advocatis et procuratoribus in causis nullitate matrimonii,in: Apollinaris 10 (1937), S. 467-469, 467. ob das abweichen von der EPO, indem der Codex angewendet wird, eine Erlaubnis bei der SC Sacr. einzuholen erfordert, scheint mir nicht einsichtig zu sein. Es ergibt sich auch nicht notwendig aus Cum Iuris Canonici.

20 Vgl. Eduard Eichmann, Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, 3 Bde, 8. Aufl. Paderborn 1953, Bd. 3, S. 242. Mörsdorf spricht hier von Wahrheit. Darum geht es aber nicht. Das ist eine moralische Kategorie. Hingegen beschreibt der Begriff Beweis das juristisch korrekte Urteil.

21 Diese Vermutung von Klaus Lüdicke zum Fortbestand der Pflichtberufung auch im neuen CIC ist zwar plakativ, aber nicht von rechtlichen Argumenten getragen. Vgl. Klaus Lüdicke, MKCIC vor c. 1682 Rdn. 6.

22 Vgl. Eduard Eichmann, Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, a.a.O., Bd. 3, S. 242.

23 Vgl. SCPF Instructio pro causis matrimonialibus, ex indulto, in Sinis servanda, vom 18.2.1929 in: Primum Concilium Sinese Anno 1924, a.a.O., S. 287-310, 287

24 Vgl. z.B. Eduard Eichmann, Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, a.a.O., Bd.2; Heribert Jone Gesetzbuch der lateinischen Kirche, Bd. 2. a.a.O.

25 Grundsätzlich halten auch die auctori probati Analclet Reifenstuel und Franz Xaver Schmalzgrueber daran fest, dass nur Geistliche als kirchliche Richter in geistlichen Angelegenheiten bevollmächtigt werden können. Das sei aber keine Sache des ius divinum, sondern eine Entscheidung der höchsten kirchlichen Autorität. So leidet dieser Grundsatz keine Not, wenn der universalkirchliche Gesetzgeber auch Laien an der Ausübung der richterlichen Gewalt beteiligt, vgl. Winfried Aymans, Laien als kirchliche Richter? Erwägungen über die Vollmacht zu geistlicher Rechtsprechung, in: AfkKR 144 (1975) 3-20, 12 f. mit den entsprechenden Nachweisen.

26 So die Ansicht von Klaus Lüdicke in: Der kirchliche Ehenichtigkeitsprozeß, Münster 1996, S. 28.

27 Vgl. Hubert Socha, Der Dienst der Pastoralreferenten und die geistliche Vollmacht, in: AfkKR 143 (1974) 377-405.

28 Vgl. Acta Tribunalium Sanctae Sedis, in: Periodica 87 (1998), S. 613-622, 615: "Quibus animadversis, hoc Dicasterium urget Forum Y ut deinceps praescriptum can. 1682 § 2 ad amussim observet, (...) et tandem vetat quemcumque iudicem laicum munere praesidis in eodem Foro fungi." (Hervorhebung von mir.)

29 Dem entsprich die Innterpretation in : Codice di Diritto Canonico Commenatato, a cura della Redazione di Quaderni di diritto ecclesiale, Mailand 2001, S. 1128.

30 Vgl. Petrus J.M. Huizing, Alternativentwurf für eine Revision des kanonischen Eherechts, in: Für eine neue kirchliche Eheordnung. Ein Alternativentwurf, hg. von P.J.M. Huizing, Düsseldorf 1975, S. 83-104.

31 Vgl. Richard Puza, Der Ehenichtigkeitsprozeß muss vereinfacht werden, Fundstelle: http://www.nomokanon.de/aufsaetze/001.htm.

32 Richard Puza schlägt in seinem Beitrag folgende Verfahrensordnung vor:
1. "Einfaches" Ehenichtigkeitsverfahren
C.1. Anträge auf Nichtigerklärung einer gescheiterten Ehe sind an den zuständigen "Ehesenat" zu richten.
C.2. Sie werden vom zuständigen "Kirchen-Ombudsman" zusammen mit der/m (den) Betroffenen vorbereitet.
C.3. § 1. Der erste Antrag muss sich auf einen Ehenichtigkeitsgrund gemäß c. 1101 § 2 CIC / 1983 stützen.
§ 2. (1) Der positive Willensakt gemäß c. 1101 § 2 CIC / 1983 wird durch gerichtliches Geständnis oder Parteienerklärung der nicht simulierenden Partei nachgewiesen. Sie ist vom Richter zusammen mit den übrigen Umständen des Falles zu würdigen. (2) Volle Beweiskraft kann dem gerichtlichen Geständnis oder der Parteienerklärung nur zukommen, wenn weitere Beweiselemente (Indizien und Beweisstützen) hinzukommen, die sie bekräftigen. (3) Der "Ehesenat" soll zur Würdigung des Geständnisses oder der Parteienerklärung nach Möglichkeit Zeugen zur Bestätigung der Glaubwürdigkeit der Parteienaussagen beiziehen (c. 1679 i. V. m. c. 1536 CIC / 1983).
C. 4. Eine gesonderte Streitpunktfestlegung kann entfallen.
C. 5. Für das "einfache" Ehenichtigkeitsverfahren gilt subsidiär der CIC / 1983.
2. "Subsidiäres" Ehenichtigkeitsverfahren
C. 6. Kann die Ehe gemäß c. 1101 § 2 CIC / 1983 auf Grund des "einfachen" Verfahrens nicht für nichtig erklärt werden, liegt ein schwerwiegender Grund gemäß c. 1514 CIC / 1983 vor, der die Parteien oder den Kirchen-Ombudsman berechtigt, einen Antrag auf Änderung des Streitpunktes zu stellen.
C. 7. Damit beginnt das "subsidiäre" Ehenichtigkeitsverfahren. Es folgt den Regeln des ordentlichen Ehenichtigkeitsverfahrens im CIC / 1983.

33 Vgl. die Diskussion der amerikanischen Sondernormen bei: Hans-Jürgen Guth, Ehescheidung oder Ehenichtigkeit? Das Eheprozeßrecht der römisch-katholischen Kirche in den USA seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg/Br. 1993. Die Sondernormen für USA Kanada und Australien finden sich bei: Ignatius Gordon, Zenon Grocholewski, Documenta recentiora circa rem matrimonialem et processualem, Vol. 1, Romae 1977, Sondernormen für die USA (APN) vom 28.4.1970, S. 242-256, Sondernormen für Kanada und Australien (CPN) vom 1.11.1974, ebd., S. 259-260.

34 Vgl. Adam Zirkel, Quam primum - salva iustitia, müssen kirchliche Eheprozesse Jahre dauern?, St. Ottilien, 2003.

35 Es ergibt sich folgendes Verfahrensschema:
1. Instanz:
1. Beratung, Klageschrift zum Diktat, die zugleich als eidliche Anhörung der klagenden Partei fungiert.
2. Einsichtnahme durch den Defensor und einen Assessor m.d.B. um Stellungnahme.
3. Stellungnahme des Assessors und Defensors zur Klageannahme.
4. Streitfestlegung und Ladung der nichtklagenden Partei.
5. Anhörung der nichtklagenden Partei und der Zeugen.
6. Akteneinsicht für die Parteien
7. Votum des Richters und des Assessors
8. Urteil
2. Instanz:
1. Pflichtberufung, Entscheidung des Offizials nach Aktenstudium, ob Einzelrichter oder Kollegium erforderlich.
2. Im Regelfall: Einzelrichter Bestätigungsdekret.

36 Brief des Kardinalstaatsekretärs vom 24.2.1996, Prot.Nr. 388.342; Verdeckte Ankündigung auch in der Ansprache Papst Johannes Pauls II. vom 22.Januar 1996 zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota, AAS 88 (1996), S. 733-777, Nr. 4; dt. in: AfkKR 165 (1996), S. 132-136.

37 Vgl. Stephan Haering, Eine neue Eheprozeßordnung? Streiflichter zu einem Gesetzentwurf., in: Karl-Theodor Geringer, Heribert Schmitz, Communio in Ecclesiae Mysterio, FS für Winfried Aymans zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 2001, S. 157-174.

38 Commissio interdicasterialis >Per il primo progretto di una Istruzione sui processi matrimoniali< (1996-1999), Primum Schema a Commissione approbatum, Rom 1999, als Manuskript .

39 Insofern verwundert es nicht, dass sich vor allem die amerikanischen Kommentatoren über die Regelungen der neuen Instruktion enttäuscht zeigen. Vgl. John L. Allen Jr., New annulment norms lack hoped for reforms, in: nationalcatholicreporter.org/update/bn020805.htm

40 Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Mitglieder der Rota Romana vom 29.2.2005, Nr. 6, engl. in: http://www.stjamescatholic.typepad.com/news. Der Papst stellt hier vor allem ab auf die authentische Interpretation der göttlichen Botschaft durch das magisterium (Vat. II., Dei Verbum 10) und die juridisch - theologische Interpretation in Wahrung der Kontinuität mit der kirchlichen Tradition.

41 Vgl. Interventio dell´ Em.mo Card. Julián Herranz, in: http://www.vatican.va/news_services/bulletin/news/16098.

42 Vgl. http://www.vatican.va/news_services/bulletin/news/16098.php?index=16098&po_date=08.02.2005.

43 Quelle: Dignitas Connubii lingua latina, Instructio servanda a Tribunalibus diocesanis et interdiocesanis in pertractandis causis nullitatis matrimonii, Auctori: Pontificium Consilium de Legum Textibus, Libreria Editrice Vaticana, 10.2.2005.

44 Vgl. Herbert Kalb, Verwaltungsakt und Verwaltungsverfahren, § 9 in: Joseph Listl, Heribert Schmitz, Hg., Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl., Regensburg 1999, S. 118-135, 122.

45 Der Sinn dieser Norm steht allerdings infrage, da Ungetaufte wohl nur dann den Rechtskreis des katholischen Eherechts berühren werden, wenn sie einen ledigen katholischen Partner zu ehelichen beabsichtigen. Steht eine Vorehe im Wege, kommt hier nicht erst subsidiär das Privilegium fidei Verfahren zur Anwendung.

46 Vgl. Dignitas connubii, a.a.O., S. 9.

47 Vgl. Hubert Socha, in: MKCIC, c. 34 Rdn. 12.

48 Vgl. http://www.kath.net/detail.php?id=9577: "Heute höre man immer wieder Stimmen, die im Namen pastoraler Notwendigkeiten dafür plädierten, vollkommen missglückte Ehen für nichtig zu erklären. Prinzipiell geht es dabei darum, dass man mit dem Ziel, eine Ehe für niemals existent zu erklären, Gründe dafür sucht, was einem kanonischen Prozess entgegensteht."(...) "Auftrag des kirchlichen Prozesses und der Richter ist immer die Suche nach der Wahrheit", betonte der Papst ausdrücklich. "Oft seien diese Rufe nach schneller Erklärung der Nichtigkeit einer gescheiterten Ehe verbunden mit Aufrufen, als Notbehelf den äußeren Anschein eines Prozesses zu wahren, um so zu verschleiern, dass es zu keinem wirklichen Prozess kam. Dass man dann hier nach Gründen sucht, mit denen man die Nichtigkeit einer Ehe begründen kann, widerspricht grundlegenden Prinzipien der Normativität und des Lehramtes der Kirche. Solche Verfahrensweisen sind kirchenrechtlich und moralisch gesehen von sich aus schwer", so der Papst. Daher könnten sie auf keine Weise "die pastoral gültige Lösung der Probleme sein, die sich aus der Krise der Ehe ergeben".

49 Vgl. Klaus Lüdicke, in: MKCIC, c. 1426 Rdn. 5.

50 Vgl. Supremum Signaturae Apostolicae Tribunal, Prot.Nr. 26882/96 VT, Ziff 3, in: Periodica 87 (1998), S. 615.

51 Art. 209 § 1: Ist die der Incapacitas zugrunde liegende Anomalie habituell oder transitorisch; von welcher Schwere; wo kommt sie her und wie hat sie sich manifestiert. § 2 n. 1: In Fällen mangelnden Vernunftgebrauchs ist zu fragen, ob zum Zeitpunkt der Eheschließung ein für diesen Zweck genügender Vernunftgebrauch vorhanden war, ob der Defekt habituell oder vorübergehend gewesen sei, ob er sich schon vor der Heirat manifestiert habe, aufgrund welcher Indizien sich das nachweisen lasse und welche Schwere der Defekt hatte, oder ob der Defekt erst nach der Hochzeit bemerkt wurde. N. 2: In den Fällen eines schweren Mangels des kritischen Urteilsvermögens ist nach der Schwere und der Natur dieses Defektes zu fragen und danach ob er sich ausgewirkt hat auf die Fähigkeit zur Entscheidung für die Ehe bei einer Partei. N.3: In Fällen des Verpflichtungsunvermögens ist nach der Natur und der Schwere der psychischen Ursache zu fragen die es der Person unmöglich gemacht hat, die essentiellen Verpflichtungen der Ehe auf sich zu nehmen.

52 Vgl. Klaus Lüdicke, in: MKCIC, c. 1586, Rdn. 5.

53 Vgl. Rudolf Köstler, Wörterbuch zum Codex Iuris Canonici, München, Kempten 1927, S. 106. Im CIC/1983 wird der Begriff auch nicht auf Urteile beschränkt angewandt; vgl. z.B. die cc. 48, 51, 115 § 2, 1406 § 1, 1460 § 2, 1609 § 4+5, 1645 § 2 n.5. Selbst im Prozessrecht fällt auf, dass decisio häufiger unspezifisch als spezifisch für Urteile verwendet wird.