"Kirchenaustritt" aus steuerlichen Gründen - nun straffrei

Von Hartmut Zapp

 

Inhalt

 
  1. Kirchenzugehörigkeit
  2. Körperschaftsaustritt in kanonistischer Diskussion
  3. Körperschaftsaustritt nach dem Päpstlichen Rat für Gesetzestexte (PCLT)
  4. Körperschaftsaustritt und Kirchenbeitrags-Pflicht
  5. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 24. April 2006

 

1. Kirchenzugehörigkeit

 

Das kirchliche Gesetzbuch von 1983 führte unter seinen Neuerungen einen bis dahin unbekannten Katholiken-Begriff ein, der sich in drei Bestimmungen des kanonischen Eherechts findet: Katholik ist, wer "in der katholischen Kirche getauft oder [nach der Taufe] in sie aufgenommen wurde und nicht durch einen formalen Akt von ihr abgefallen ist". Worin dieser Formalakt besteht, ist dem Codex des kanonischen Rechts nicht zu entnehmen.

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Die damit verbundene Frage der Kirchenzugehörigkeit impliziert die nach der Kirche, näherhin nach dem Kirchenbegriff. Immer noch aktuell ist die Formulierung Bernhard Panzrams; nach ihm kann man "die Kirche in kanonistischem Sinne definieren als die von Jesus Christus für die Menschen aller Zeiten und Länder gestiftete ständisch und hierarchisch gegliederte Heilsanstalt." Schon "der Kirchenbegriff des Epheserbriefs steht in diametralem Gegensatz zu einem vereinsrechtlichen Verständnis der Urkirche", betont der Münchner Jurist und Kirchenrechtshistoriker Peter Landau unter Verweis auf die "klassische Formulierung bei R(udolph) Sohm: 'Der Körper Christi ist keine Körperschaft'."

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Das altkodikarische Recht beruhte auf der traditionellen Ekklesiologie der absoluten Identifikation der Kirche Christi mit der katholischen Kirche, wie sie ihren kanonistischen Niederschlag in der Utopie des can. 12 CIC/1917 gefunden hatte. Diese Tradition war schwer mit der Enzyklika "Mystici Corporis" Pius' XII. von 1943 harmonisierbar, in der deutlich die Kirchenvolks-Lehre Bellarmins erkennbar ist. Deren von Pius XII. aufgegriffene körperschaftliche Sichtweise widersprach der vom Anstaltsbegriff ausgehenden kanonistischen Lehre des can. 87 CIC/1917, wonach allein durch das Taufsakrament "der Mensch Person in der Kirche Christi" wird.

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Der Enzyklika gemäß war nichtkatholischen Christen die Zugehörigkeit zur Kirche abzusprechen, während nach dem kirchlichen Gesetzbuch alle Getauften zur Kirche Christi und auf Grund der Identifikationslehre zugleich zur katholischen Kirche gehörten. Nach 1943 musste man daher nach Wegen suchen, diese Spannung zu überbrücken. Nikolaus Hilling schlug vor, diesen Widerspruch durch die Unterscheidung in "zwei verschiedene Klassen der Mitglieder, die aktiven und die passiven" zu mildern. Ein anderer Versuch wollte ähnlich vermitteln zwischen der sog. tätigen Kirchengliedschaft - nach Pius'scher Theorie - und der konstitutionellen oder konsekratorischen - nach der im Codex von 1917 verankerten Lehre.

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Auch die zweitvatikanische Ekklesiologie mit ihrem veränderten Kirchenverständnis, rezipiert in den verfassungsrechtlichen Grundnormen der cann. 204 und 205, sieht die Eingliederung in die Kirche in dem "untilgbaren Prägemal" der Taufe ("character indelebilis" nach can. 849). Mit dieser Kirchenzugehörigkeit auf Grund der von den christlichen Kirchen anerkannten einen Taufe ist zugleich die Gliedschaft in einer der verschiedenen Kirche Christi-Konkretisierungen verbunden; es besteht eine zweischichtige Kirchenzugehörigkeit: Die durch die Taufe begründete, unverlierbare Zugehörigkeit zur Kirche Christi - "einen metaphysisch wirksamen Kirchenaustritt gibt es nicht", betont Georg May - ist nur möglich über die Gliedschaft in einer ihrer Verwirklichungsformen konkreter Kirchen oder kirchlicher Gemeinschaften.

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2. Körperschaftsaustritt in kanonistischer Diskussion

 

Das deutsche staatskirchenrechtliche Kirchenfinanzierungssystem lässt sich auf den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 und die letztlich dadurch verursachte Weiterentwicklung hin zu den Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung zurückführen. Trotz aller Kritik an deren mitunter unbefriedigenden Ergebnissen, z. B. im Kontext der Staatsleistungen und deren Ablösung, einer ihrer - so das "geflügelte" Wort Carl Schmitts - "dilatorischen Formelkompromisse", blieben Kirchenartikel dieser Verfassung über Art. 140 GG bis heute bestimmend für das Staatskirchenrecht.

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Unter den Formen "staatlicher Mitfinanzierung kirchlicher Arbeit mit sehr günstigen Lebensbedingungen für die Kirchen - günstig, wie wohl in keinem anderen Land sonst", ist sicherlich die Kirchensteuer gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV die wichtigste Finanzierungsquelle, die sich der Kirche wie allen Religionsgesellschaften eröffnet, die den, wie Rudolf Smend bemerkte, "rätselhaften Ehrentitel" einer Körperschaft des öffentlichen Rechts führen, also "öffentlich-rechtliche Körperschaften sui generis" sind. Art und Höhe der Kirchensteuer legen die Religionsgesellschaften in ihren Steuerordnungen vorbehaltlich staatlicher Genehmigung selbst fest.

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Die Kirchensteuerpflicht beruht auf der Zugehörigkeit zu einer der steuererhebenden Kirchen oder Religionsgesellschaften; die Voraussetzungen dafür bestimmen diese gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV selbständig. Das Grundrecht der positiv wie negativ ausgelegten Religionsfreiheit verlangt, dass solche Mitgliedschaften - und damit die Kirchensteuerpflicht - nach staatlichem Recht jederzeit beendet werden können, und zwar ohne jede Möglichkeit der Einflussnahme durch die Kirche oder Religionsgesellschaft, welche mit der Aufnahme der Kirchenglieder auch deren Mitgliedschaft nach staatlichem Recht bewirkt hatte. Der Austritt aus einer solchen Körperschaft des öffentlichen Rechts beendet für den staatlichen Bereich die Mitgliedschaft in der betreffenden Religionsgesellschaft, und zwar mit ausschließlich "bürgerlicher Wirkung".

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Dennoch wird aus dem bürgerlichen Akt des Körperschaftsaustritts eine innerkirchliche Konsequenz konstruiert, wie etwa die "Erklärung der Diözesanbischöfe der Bundesrepublik vom Dezember 1969 zu Fragen des kirchlichen Finanzwesens" verdeutlicht, die mit ihrer Rigorosität gegenüber intendierter Umgehung der "Besteuerung" die Argumentation kanonistischer Literatur bis zur Promulgation des Codex von 1983 schon erheblich beeinflusst hatte. Darin wird festgestellt: "Wenn also ein Katholik seinen Austritt aus der Kirche erklärt - aus welchen Gründen auch immer - so stellt dies eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft dar. Er kann daher am sakramentalen Leben erst wieder teilnehmen, wenn er bereit ist, seine Austrittserklärung rückgängig zu machen und seinen Pflichten auch in Bezug auf die Kirchensteuer wieder nachzukommen."

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Die Frage des Körperschaftsaustritts gewann mit der Formulierung der eherechtlichen Ausnahmebestimmungen, ["actu formali ab Ecclesia catholica deficere"] - durch einen Formalakt von der katholischen Kirche abfallen (cann. 1086 § 1, 1117 und 1124) -, neue Aktualität. Diese Defektionsklausel führte zur Auffassung, das "katholische Kirchenrecht" betrachte, so Joseph Listl noch im Handbuch von 1999, die "Erklärung des Kirchenaustritts als einen formellen Akt des Abfalls von der katholischen Kirche".

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Nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig lässt die Feststellung seines Schülers Wilhelm Rees: "Die Diözesanverwaltungen und die deutsche Verwaltungskanonistik sehen auch die Erklärung des Kirchenaustritts vor einer staatlichen Behörde als Kirchenabfall an. Dabei wird fälschlicherweise unterstellt, dass der staatliche Rechtsakt eine unmittelbare Wirkung im kirchlichen Rechtsbereich entfalte. Den Bezugspunkt dafür bietet die Erklärung der Diözesanbischöfe..., die aber gegen das geltende Recht keine Geltung beanspruchen kann. Diesbezügliche Ergebnisse der wissenschaftlichen Kanonistik werden in der Verwaltungspraxis der deutschen Bistümer ignoriert."

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Schließlich verdient Erwähnung, dass die deutsche kirchenamtliche Beurteilung des Körperschaftsaustritts im Kontext des can. 1117 z.B. von der Italienischen Bischofskonferenz nicht anerkannt wird, mit der Folge, dass die nach dem Körperschaftsaustritt eines Katholiken nur standesamtlich geschlossene Ehe mit einem getauften Nicht-Katholiken in Deutschland "sakramental" - in Italien ungültig ist.

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3. Körperschaftsaustritt nach dem Päpstlichen Rat für Gesetzestexte (PCLT)

 

Seit langem ist bekannt, dass der Päpstliche Rat für Gesetzestexte, Pontificium Consilium de Legum Textibus" (PCLT), so die neue Bezeichnung seit dem Jahr 2000, schon geraume Zeit über die Defektionsklausel beriet, ja in seiner Sitzung vom 4. Juni 1999 deren Streichung vorgeschlagen hatte; um so überraschender war die Antwort seines Präsidenten vom 3. Mai 2005 auf eine entsprechende Anfrage des Bischofs von Rottenburg-Stuttgart.

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Diese Responsio verlangt zur Wertung des Abfalls von der katholischen Kirche als gültigen Formalakt im Sinn des can. 1117:

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  • Die "innere Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen",

  • die "Ausführung und äußere Kundgabe dieser Entscheidung", sowie

  • die "direkte Annahme dieser Entscheidung durch die zuständige kirchliche Autorität".

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In Anwendung dieser in der Responsio näher erläuterten Kriterien für den Abfall von der Kirche beantwortet der letzte Satz vor der Grußformel die Anfrage: "Wer nicht von der katholischen Kirche durch einen solchen Formalakt abgefallen ist, hat die kanonische Eheschließungsform einzuhalten."

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Laut "Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Ständigen Rats der DBK am 22. August 2005" setzten sich die Bischöfe - wohl aus nicht unbegründeter Sorge um ihre ergiebigste Finanzierungsquelle - über die Responsio mit der Feststellung hinweg, "dass in den deutschen Diözesen... die bisherige Präsumtion Geltung behält, nach der ein auf der Grundlage des weltlichen Rechts vor der staatlichen Autorität vollzogener Austritt aus der Katholischen Kirche den Tatbestand des actus formalis defectus ab Ecclesia catholica erfüllt und die entsprechenden Konsequenzen (im Eherecht etc.) nach sich zieht. Der Vorsitzende wird diese Auffassung der deutschen Diözesanbischöfe dem PCI [für früher Pontificium Consilium de legum textibus Interpretandis] und anderen römischen Instanzen zur Kenntnis bringen und damit die Anregung verbinden, die mit der jüngsten Interpretation des PCI verbundenen Fragen in einem direkten Gespräch zu erörtern und zu klären."

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Inzwischen erübrigt sich die Diskussion über die Responsio, da ein Dokument sie ersetzte, durch das ihre Anweisungen eine ungeahnte Bekräftigung erfuhren: Die Interpretation der Defektionsklausel durch den Päpstlichen Rat für Gesetzestexte vom 13. März 2006 (Prot. Nr. 10279/2006).

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(Eine Anmerkung in eigener Sache: Alle Zitate daraus beruhen auf privater Übersetzung, da nur die Fassung an den Vorsitzenden der amerikanischen Bischofskonferenz zugänglich war - der "Quelle" dafür sei aufrichtig gedankt.)

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Das Dokument lehnt sich stark an die Ausführungen der Responsio von 2005 an und übernimmt nahezu wörtlich die Formulierung der Kriterien, nach denen der Abfall von der katholischen Kirche durch formalen Akt zu bestimmen ist. Klarer strukturiert und präziser gefaßt gewinnt es durch seine formale Ausfertigung und vor allem durch die päpstliche Approbation einen entscheidend stärkeren rechtlichen Verbindlichkeitsgrad. Für den "Formalakt des Abfalls von der Kirche" müssen drei Voraussetzungen gegeben sein:

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a) die "innere Entscheidung, die Katholische Kirche zu verlassen".
Es muss sich um den Willen zum Zerstören der "Bande der Gemeinschaft - Glaube, Sakramente und pastorale Leitung" - handeln, um den Willen zur "wirklichen Trennung" von der Kirche. "Dies bedeutet, dass der Formalakt des Abfalls mehr beinhalten muss als einen juristisch-administrativen Charakter", nämlich die "Tilgung des Namens" aus einem staatlicherseits geführten "Kirchenmitgliedschafts-Register; er setzt daher einen Akt der Apostasie, der Häresie oder des Schismas voraus" (Nr.2).

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b) die "Verwirklichung und äußere Kundgabe dieser Entscheidung".
"Der juristisch-administrative Akt des Verlassens der Kirche an sich bildet nicht einen Formalakt des Abfalls, wie er im Codex verstanden wird, vorausgesetzt, dass noch der Wille bestehen könnte, in der Gemeinschaft des Glaubens zu bleiben.
Andererseits bilden Häresie (ob formell oder materiell), Schisma und Apostasie nicht in sich selbst einen formalen Akt des Abfalls, wenn sie nicht äußerlich konkretisiert und der kirchlichen Autorität gegenüber in der erforderlichen Weise kundgetan sind." (Nr.3). Außerdem muss der Abfall "ein gültiger Rechtsakt sein", "persönlich, bewusst und frei" (Nr.4).

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c) die "Annahme dieser Entscheidung durch die zuständige kirchliche Autorität".
"Darüber hinaus wird verlangt", dass der Willensakt "in schriftlicher Form vor der zuständigen Autorität der Katholischen Kirche kundgetan wird: Einzig der Ordinarius oder der Heimatpfarrer ist befähigt, Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des oben beschriebenen Willensaktes zu beurteilen. Folglich bildet nur das Zusammentreffen der zwei Elemente - theologischer Inhalt des inneren Aktes und dessen Kundgabe in der oben festgelegten Weise - den Formalakt des Abfalls von der katholischen Kirche mit den entsprechenden kanonischen Strafen" (Nr.5), der im Taufbuch zu vermerken ist (Nr.6).

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Schließlich wird eigens betont, "das sakramentale Band der Zugehörigkeit zum Leib Christi, der die Kirche ist, verliehen durch das Prägemal der Taufe", sei "ein ontologisches und dauerhaftes Band, das nicht auf Grund irgendeiner Handlung oder Tatsache des Abfalls verloren geht" (Nr. 7)

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Nach der Schlussformel und den Unterschriften von Präsident und Sekretär des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte folgen Approbation und Zustellungsbefehl des Papstes:

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"Diese Mitteilung wurde von Papst Benedikt XVI. approbiert, der anordnete, sie allen Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zuzustellen."

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Der oberste Gesetzgeber hat sich mit seiner Approbation die Auslegung des "Formalakts des Abfalls von der Kirche" durch seinen Rat für Gesetzestexte zu eigen gemacht. Handelt es sich dabei um eine "nach Art eines Gesetzes authentische Auslegung"? Unter rechtspositivistischem Aspekt wird man eine der beiden nach can. 16 § 2 i.V.m. can. 8 § 1 vorgesehenen Promulgationsmodi zur Qualifizierung "authentisch" verlangen. Kann man in der päpstlichen Anordnung, die Mitteilung ("notification") "allen Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zuzustellen", die Ausnahmesituation nach can. 8 als gegeben annehmen? Einen Eindruck vom diesbezüglich großzügigen stilus curiae vermittelt der frühere Präsident der damaligen Interpretationskommission Rosalio José Castillo Lara: "Der derzeitige Codex schreibt aus Gründen der juristischen Gewissheit unterschiedslos die Promulgation für alle Kategorien der authentischen Interpretation per modum legis vor. Tatsächlich sind jedoch... nicht alle Antworten promulgiert worden. Welcher Wert ist diesen beizumessen? Haben sie als authentische Interpretationen zu gelten? Ja, davon bin ich überzeugt. Die Qualifikation authentisch entspringt nicht der Tatsache der Promulgation, sondern der Vollmacht mit der die Kommission ausgestattet ist". Dies dürfte um so mehr für die potestas suprema in entsprechend abgewandelter Formulierung eines mit der hierarchischen Struktur der Kirche konformen Grundsatzes zutreffen: "Die authentische Interpretation verdankt ihr Gewicht nicht der Begründung, sondern der Autorität".

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Ohne Zweifel hat das Dokument vom 13. März 2006 einen ungleich stärkeren Verbindlichkeits-Charakter als die Responsio von 2005, nicht zuletzt, weil es den Voraussetzungen nach Art. (18 und) 155 PastBon entspricht und für die Gesamtkirche Geltung erhielt. Die Interpretation der Defektionsklausel hat mit der deutlichen Zurückweisung der vom deutschen Episkopat vertretenen Wertung des Körperschaftsaustritts als Formalakt des Abfalls von der Kirche eine langjährige Kontroverse mit einer Klärung von bedeutender Tragweite beendet. Nach der Definition des "Abfalls von der Kirche durch einen formalen Akt" stehen auch die von den Bischöfen mit dem aus steuerlichen Gründen erfolgten Körperschaftsaustritt verbundenen Strafmaßnahmen nicht mehr zur Diskussion.

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Mit der damit verbundenen Ausgrenzung des Körperschaftsaustritts aus dem Sachverhalt des can. 1117 bleibt die Formpflicht unberührt. Bei der staatlichen Behörde abgemeldete Katholiken können - mögliche Dispensen ändern an ihrer grundsätzlichen Formpflicht nichts - eine gültige kirchliche Ehe nur vor einem Trauungsberechtigten (und zwei Zeugen) schließen, der seinerseits die Eheassistenz nicht unter Berufung auf ein Trauungsverbot verweigern kann.

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Wenigstens hingewiesen sei auf die Frage der Rückwirkung der Entscheidung des Päpstlichen Rates. Ist sie zu bejahen, wofür es gute Gründe gibt, waren die Körperschaftsaustritte seit Inkrafttreten des Codex im November 1983 keine Formalakte im Sinne des can. 1117, berührten daher die Formpflicht nicht, so dass die von diesen Katholiken nur standesamtlich geschlossenen Ehen mit Nicht-Formpflichtigen im Gegensatz zur Auffassung der deutschen Kirchenbehörden nichtig wären.

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4. Körperschaftsaustritt und Kirchenbeitrags-Pflicht

 

Zu den mit der Kirchenzugehörigkeit verbundenen Pflichten gehört die Leistung eines Unterhaltsbeitrags für die Aufgaben der nach can. 204 § 2 "in dieser Welt als Gesellschaft verfassten" Kirche. Diesen - so Alexander Hollerbach - "letztlich naturrechtlich begründeten sachlichen Grundgedanken" kann man in der Verpflichtung nach can. 222 § 1 formuliert sehen, die Kirche bei der Erfüllung ihrer Aufgaben angemessen zu unterstützen. Im Kontext der "in letzter Minute auf Betreiben der Deutschen Bischofskonferenz" can. 1263 angefügten Zusatzbestimmung - in der Literatur als clausula teutonica" bekannt - ist auf die Spannung zur allgemein von den Gläubigen gemäß can. 1262 "erbetenen Unterstützung" aufmerksam zu machen; die Codexreformkommission wollte sanktionsbewehrte Verpflichtungsanordnungen ausdrücklich vermeiden.

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Liegt mit dem Körperschaftsaustritt - "aus welchen Gründen auch immer" -, also auch aus steuerlichen, eine so "grobe" Verletzung der "gebotene(n) Solidarität", eine derartige "Gemeinschaftswidrigkeit" vor, dass der Ausschluss vom Sakramentenempfang gerechtfertigt sein kann? Die deutschen Bischöfe verstießen schon mit ihrer Erklärung von 1969 gegen das grundlegende strafrechtliche Prinzip der Schuld-Berücksichtigung. Im Lehrbuch von Klaus Mörsdorf hätten sie nachlesen können: "Bei äußerer Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes kann die zu einer Bestrafung erforderliche Schuld fehlen... der Grundsatz: 'Nulla poena sine culpa'" duldet "hier, wo es sich um die Strafe des Kirchenbannes handelt, keine Ausnahme... Die Beweggründe zum Kirchenaustritt können sehr verschiedener Natur sein [genannt werden u.a. "Kirchensteuer, Verärgerung"]... und erfordern jeweils eine besondere Würdigung bei der Prüfung der Schuldfrage". Die modifizierten Kirchenaustritte demonstrieren dies deutlich.

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Auch der deutsche Episkopat kann den bloßen Körperschaftsaustritt nach der eindeutigen Auslegung der römischen PCLT-Entscheidung nicht mehr zum Abfall von der Kirche durch formalen Akt umdeuten. Dieser setzt vielmehr "als wirkliche Trennung von den konstitutiven Elementen des kirchlichen Lebens" einen Akt "des Schismas voraus". Wenn daher von einem Akt des Schismas keine Rede mehr sein kann, kommt auch die für ein Schisma angedrohte Strafe der Exkommunikation nicht mehr in Frage, auch nicht der de facto dieser Strafe gleichkommende Ausschluss aus der kirchlichen Sakramentengemeinschaft. Gleichermaßen hinfällig wurde die Anwendung des can. 1184 § 1 Nr. 1, der die Verweigerung der kirchlichen Bestattung für Schismatiker anordnet.

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Kann bei einem Körperschaftsaustritt ohne weiteres vermutet werden, der Betreffende komme seiner Verpflichtung gemäß can. 222 § 1 (i.V.m. cann. 1260-1263) nicht nach? Es ist deutlich herauszustellen, dass der Körperschaftsaustritt als solcher keinen Verstoß gegen die genannte Rechtspflicht darstellt. Zunächst wird darin in erster Linie ein Protest gegen die als überhöht, nicht zu selten als Belastung empfundene Kirchensteuer zu verstehen sein, zumal, so eine zutreffende Feststellung, die deutschen Kirchen "im zwischenkirchlichen und internationalen Vergleich 'reich'" sind. Der Protestaustritt könnte auch in der Ablehnung kirchlicher Sendung und Seelsorge häufig ferner Verwendung von Steueraufkommen motiviert sein. Ist es "angemessen", von den Katholiken in Deutschland, ein im westeuropäischen Vergleich nicht gerade florierendes Land, die wohl höchste Kirchenfinanzierungsleistung in der katholischen Weltkirche einzufordern?

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Was wäre angemessen? Als Beispiel kann die in Italien seit dem Rahmenkonkordat von 1984 (mit sieben Sonderverträgen) bestehende Kultursteuer dienen, die "im Vergleich mit der deutschen Kirchensteuer lediglich etwa ein Zehntel" beträgt. Dieser Regelung kommt besondere Bedeutung zu, weil sowohl die Italienische Bischofskonferenz als auch der Apostolische Stuhl mit der Unterzeichnung der Verträge ausdrücklich zu verstehen gaben, dass diese Vereinbarung ihrer Vorstellung von einem angemessenen Kirchenbeitrag entspricht.

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Anderswo ist das weitaus geringere Kirchen-Budget kein Hinderungsgrund für ein im Vergleich zu Deutschland keineswegs weniger aktives Engagement der Kirche. Wie jede Gesellschaft leistet die Kirche, nach can. 204 § 2 "in dieser Welt als Gesellschaft verfasst" den ihr Zugehörenden Dienste, für die ihr Vergütung zusteht. Dass ihr diese Sichtweise durchaus nicht fremd ist, zeigt can. 1264 über die Erhebung von Gebühren und Entgelten, auch für die Spendung von Sakramenten und Sakramentalien.

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Wird jede Unterstützung oder auch ein Betrag unter dem genannten Durchschnittswert verweigert, liegt ohne Zweifel ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur angemessenen Kirchenunterstützung vor. Gilt dies auch für Zahlungen, die nicht an die Bistumskasse geleistet werden, sondern z.B. direkt an die Pfarrei, weil man dort die Mittel sachgerechter verwendet glaubt? Der Wortlaut des can. 1262 "gemäß den von der Bischofskonferenz erlassenen Normen" umfasst auch den Modus der zu erbringenden Unterstützung, also die Nutzung der den deutschen Bischöfen staatlicherseits eingeräumten Möglichkeit, den Kirchenbeitrag als Steuer zu erheben. Selbst der nicht korrekte Zahlungsweg könnte als "Ungehorsam" gewertet werden, belegbar nach can. 1371 Nr. 2 mit einer "gerechten Strafe". Was wäre darunter zu verstehen? Angemessene Beeinträchtigungen von Rechten? Die Auswahl ist nicht groß. Ist ein Verstoß gegen can. 1262 in der angedeuteten Weise gravierender als Nichtbefolgen des Sonntagsgebots, als Missachtung liturgie- oder sakramentenrechtlicher Vorschriften, ganz zu schweigen von Verfehlungen, die Glaubwürdigkeit und Ansehen der Kirche schädigen?

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Es bleibt zusammenzufassen: Ein Körperschaftsaustritt aus steuerlichen Gründen kann nicht als Verstoß gegen die in den genannten einschlägigen kirchlichen Normen festgelegte Verpflichtung gewertet werden - vorausgesetzt, es wird ein Beitrag in etwa der Höhe der durchschnittlichen Kirchenbeiträge in vergleichbaren westeuropäischen Ländern geleistet. Bei den Bestimmungen nach den genannten canones handelt es sich grundsätzlich um Rechtsverpflichtungen aller Gläubigen, zum Unterhalt der Kirche beizutragen. Nicht gedeckt von der Bestimmung des can. 1262, wonach "die Gläubigen der Kirche durch erbetene Unterstützung Hilfe gewähren" sollen, sind jedoch die gegenüber den in vergleichbaren Ländern verlangten Abgaben von den deutschen Bischöfen geforderten um das Zehnfache höheren Kirchensteuern.

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5. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 24. April 2006

 

Als Reaktion auf die Interpretation des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte beschloss der Ständige Rat der DBK eine "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Austritt aus der katholischen Kirche". Danach würden die vom PCLT erlassenen "weltkirchlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung der deutschen Rechtstradition auf die deutschen Diözesen" angewandt. Was damit wirklich gemeint ist, verdeutlicht die Äußerung, die durch die römische Entscheidung erfolgte "Klarstellung berühr(e) nicht die in der deutschen Rechtstradition stehende staatliche Regelung für den 'Kirchenaustritt'"!

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Die nicht zu harmonisierende Widersprüchlichkeit der Erklärung der DBK zur approbierten Interpretation der Defektionsklausel zeigt sich weiter in der schon fast stereotypen Wiederholung, allerdings nun mit verschärfendem Zusatz: "Wer - aus welchen Gründen auch immer - den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt, zieht sich die Tatstrafe der Exkommunikation zu." Was soll dieser Zusatz bewirken? Nach der bekannten Problematik dieser "von selbst eintretenden Strafe" [- die, nebenbei erwähnt, derselbe Gesetzgeber nicht mehr in den Codex für die orientalischen Kirchen von 1990 aufnahm -,] muss der eventuelle Delinquent Ankläger, Richter und Urteilsvollstrecker in einem sein. Was geschieht, wenn er zum Urteil "Nicht schuldig" kommt? Für den äußeren Rechtsbereich wäre jeder Einzelfall zu untersuchen; zur Verwehrung der Zulassung zum Eucharistie-Empfang z.B. muss nach can. 915 der Eintritt der Tatstrafe erklärt sein, d. h. erst mit der kirchenamtlichen Feststellung des Eintritts der Tatstrafe durch ein Strafverfahren - auf dem Verwaltungs- oder Gerichtsweg - kann er als Exkommunizierter betrachtet und behandelt, ihm also die Zulassung zur Kommunion verweigert werden.

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Ebenfalls in direktem Gegensatz zur römischen Entscheidung halten die deutschen Bischöfe an der Gleichsetzung von Körperschaftsaustritt und "Trennung von der Kirche" fest. Ist in der Erklärung von 1969 der Begriff "Schisma" nicht zu finden, lehren die Bischöfe nun, der Körperschaftsaustritt "erfüll(e) den Tatbestand des Schismas im Sinn des can. 751". "Schisma" - so der Wortlaut dieser Norm - "nennt man die Verweigerung der Unterordnung unter den Papst oder der Gemeinschaft mit dem diesen untergebenen Gliedern der Kirche." Ist Körperschaftsaustritt aus steuerlichen Gründen, die Veranlassung einer Eintragstilgung aus einem staatlichen "Kirchenmitgliedschafts-Register" dann Schisma? Sicher nicht nach dem Schreiben des Päpstlichen Rates (Nr.2). Doch der Vorsitzende der DBK beharrt laut eines Interviews vom 14. Juni 2006 auf dem Standpunkt: "Wer vor der staatlichen Behörde seinen Kirchenaustritt erklärt... erfüllt damit den kirchenrechtlichen Tatbestand des Schismas. Damit tut er genau das, was auch in dem römischen Rundschreiben vorausgesetzt ist."

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Anlass für die Entscheidung des Päpstlichen Rates waren Anfragen zur Defektionsklausel im Eherecht; der Begriff des "Abfalls von der Kirche durch formalen Akt" fand seine generell verbindliche Definition. Um so mehr verwundert es, dass der deutsche Episkopat ihn in Ablehnung der PCLT-Interpretation weiterhin wie bisher versteht: "Ebenso treten die im kirchlichen Eherecht vorgesehenen Rechtsfolgen ein." Das bedeutet, nach deutschbischöflicher Umdeutung des Körperschaftsaustritts in einen Formalakt des Abfalls von der Kirche liegt für Ausgetretene keine Formpflicht vor. Ihre nur standesamtlich geschlossenen Ehen gelten für die DBK nach wie vor als gültig - falls mit ebenfalls formfreien Getauften geschlossen, auch als sakramental -, bleiben indessen für die Weltkirche, die sich an das kanonische Recht hält, ungültig, da die Betreffenden immer noch Katholiken und daher an die Formpflicht gebunden sind.

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Bei ihrer Rechtsfiktion der Identität von Körperschaftsaustritt und Schisma dürften die Bischöfe einem doppelten Irrtum erlegen sein. Zum einen ist es dem Staat wegen seiner Verpflichtung zur Neutralität verwehrt, Erklärungen religiöser Art entgegenzunehmen, zu bewerten oder zu bestätigen, wie die Auseinandersetzungen um den modifizierten Kirchenaustritt belegen. Zum andern erklärt die ausdrückliche Anordnung des PCLT Ordinarius oder Heimatpfarrer zum einzig Befähigten, über "Vorhandensein oder Nichtvorhandensein" der inneren Entscheidung zum Verlassen der Katholischen Kirche zu befinden. Die für Körperschaftsaustrittserklärungen zuständige staatliche Behörde ist zur kirchenrechtsverbindlichen Bewertung nicht in der Lage. Nach geltendem Recht befinden sich daher die deutschen Bischöfe im Ungehorsam gegenüber der päpstlichen Autorität.

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Erfährt die in der Regel von einer staatlichen Behörde ausgefertigte Mitteilung eines Körperschaftsaustritts mit rein bürgerlicher Wirkung auf dem Weg zur kirchlichen Behörde eine wundersame Metamorphose? - In der Vorstellung der deutschen Bischöfe wohl. Nach ihrem Verständnis nämlich erhalten sie keine Mitteilung eines Körperschaftsaustritts sondern die Benachrichtigung über einen schismatischen Akt; sie schreiben damit auf Grund der historisch-zufälligen Rechtsfigur einer steuerberechtigten Körperschaft des öffentlichen Rechts dem Staat Vollmachten zu, die über den Zugehörigkeitsstatus zu der Konkretisierungsform der Kirche Christi entscheiden. Ludwig Renck formuliert: "Es ist ein Unfug, einen Kirchenaustritt zu verlangen und behördlich zu protokollieren, der kirchenrechtlich keiner ist und der staatskirchenrechtlich keiner sein kann."

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Im erwähnten Interview betont der Vorsitzende der DBK, der Päpstliche Rat für Gesetzestexte habe die Auffassung der deutschen Bischöfe "ausdrücklich bestätigt". Liegt hier (immer noch) ein Missverständnis vor? Die römische Auslegung der Defektionsklausel wurde nach sorgfältiger Prüfung der theologischen Grundlagen durch die Glaubenskongregation in der Vollversammlung des Rates beschlossen, der durch mehrere Anfragen sensibilisiert war. Wer möchte außerdem in Frage stellen, dass der approbierende Papst bestens mit der staatskirchenrechtlichen Situation in Deutschland vertraut ist, auch mit dem "Problemfall" Kirchensteuer? Von einer anderslautenden Entscheidung, deren Verbindlichkeit ähnlich fundiert sein müsste, ist bislang nichts bekannt.

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