23. September 2010

Bundesverwaltungsgericht: Pressemitteilung Nr. 81 vom 23. September 2010

Keine Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde ohne eindeutige Willensbekundung

 

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die jüdische Gemeinde in Frankfurt ein aus Frankreich zugezogenes Ehepaar jüdischen Glaubens nicht mit Wirkung für das staatliche Recht als Mitglied behandeln darf. Damit entfällt insbesondere die Möglichkeit, das klagende Ehepaar zur Kultussteuer (Kirchensteuer) heranzuziehen.

Nach der Satzung der beklagten Gemeinde bestimmt sich die Mitgliedschaft in ihr nach der jüdischen Religionszugehörigkeit, die insbesondere durch die Abstammung von einer jüdischen Mutter vermittelt wird, und der Wohnsitznahme. Eine so begründete Mitgliedschaft in der rechtlich verfassten Religionsgemeinschaft kann im staatlichen Recht wegen des Grundrechts der Bekenntnisfreiheit nur dann anerkannt werden, wenn sie von einer Willensentscheidung des Betroffenen getragen ist. Das Berufungsgericht hat u.a. der Erklärung der Kläger gegenüber dem Einwohnermeldeamt über ihre Religionszugehörigkeit eine derartige Willensbekundung entnommen.

Dem ist das Bundesverwaltungsgericht nicht gefolgt. Zwar haben die Kläger nach ihrem Zuzug gegenüber der Meldebehörde im Anmeldeformular bei der Frage nach der Religion "mosaisch" angegeben. Vor dem Hintergrund vielfältiger Strömungen im Judentum geht aus dieser allgemeinen Auskunft über die Glaubenszugehörigkeit aber nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit hervor, dass die Kläger, die sich nach ihren Angaben dem liberalen Judentum verbunden fühlen, der in Frankfurt bestehenden jüdischen Gemeinde in ihrer konkreten Ausrichtung zugehören wollen.

Schließlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass allein die bisherige Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde in Frankreich im Falle des Wohnsitzwechsels automatisch die Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde des neuen Wohnorts zur Folge hat.

BVerwG 7 C 22.09 - Urteil vom 23. September 2010

Vorinstanzen: VGH Kassel, Urteil vom 19. Mai 2009 - 10 A 2097/07 - VG Frankfurt am Main, Urteil vom 20. September 2005 - 11 E 1452/04(1) -